Entscheidung beim Atomgipfel: Zwölf Jahre länger
BERLIN - Der Atom-Gipfel im Kanzleramt: Stundenlang wurde am Sonntag verhandelt, das Ergebnis ist eine Paketlösung. Für die Verlängerung sollen die AKW-Betreiber Milliarden zahlen.
Stundenlang wurde am Sonntag im Kanzleramt verhandelt – am Abend dann das Ergebnis: Die schwarz-gelbe Koalition macht Ernst mit der umstrittenen Laufzeitverlängerung. Im Schnitt sollen die deutschen Atomkraftwerke durchschnittlich zwölf Jahre länger am Netz bleiben, verlautete aus Regierungskreisen.
Nach dem Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün würden die letzten Meiler etwa im Jahr 2025 abgeschaltet. Die Partei- und Koalitionsspitzen einigten sich auf ein Modell, wonach sieben ältere Meiler noch 8 Jahre am Netz bleiben könnten. Zehn neuere Reaktoren könnten dann noch 14 Jahre länger Strom liefern.
Im Gegenzug sollen die Stromkonzerne ab 2011 Milliardenzahlungen an den Bund zahlen. Die Brennelementesteuer von 2,3 Milliarden Euro jährlich wird allerdings nur auf einige Jahre befristet. Ergänzend wird ein „Sonderbeitrag“ zur Förderung erneuerbarer Energien fällig, auf den sich die Atomkonzerne vertraglich festlegen sollen. Die Sonderzahlungen sollen zunächst pro Jahr zwischen 200 und 300 Millionen Euro liegen. Nach Auslaufen der Atomsteuer sollen diese Zahlungen in den Fonds später etwa auf das Volumen der Steuer von 2,3 Milliarden Euro anwachsen.
Über Details der Einigung wollen Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) gegen Mitternacht berichten. Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich erst am Montagvormittag äußern.
Ein gemeinsames verfassungsrechtliches Gutachten des Innen- und Justizministeriums habe nach Informationen aus Regierungskreisen ergeben, dass die Laufzeiten ohne Zustimmung der Länderkammer problemlos um mindestens zehn Jahre verlängert werden könnten. Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit mehr, deshalb will die Koalition die Laufzeitverlängerung im Alleingang durchsetzen. SPD-Chef Sigmar Gabriel und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth kündigten einen „heißen Herbst“ an. „Ohne Not bricht die Bundesregierung einen der größten gesellschaftlichen Konflikte der Bundesrepublik wieder auf“, sagte Gabriel.
Die Gipfelteilnehmer wurden am Sonntag vor dem Kanzleramt von etwa 2000 aufgebrachten Demonstranten mit Vuvuzelas empfangen. Die Spitzenrunde hatte am Vormittag mit einer Runde aus Merkel, den Hauptkontrahenten Röttgen und Brüderle sowie Finanzminister Wolfgang Schäuble begonnen. Um 14 Uhr stießen CSU-Chef Horst Seehofer, FDP-Chef Guido Westerwelle sowie die Fraktionschefs dazu.
Die Fachleute hatten die 17 Meiler in drei Gruppen einsortiert. In Gruppe eins die alten, kleinen Meiler Brunsbüttel, Isar 1, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 – ihnen könnte als erstes die Abschaltung drohen, weil sie sich wegen der neuen Atomsteuer und Kosten für die Nachrüstung aus Sicht der Versorger nicht mehr rechnen würden. In der zweiten Gruppe die älteren, aber deutlich größeren AKW Biblis A und B, Unterweser und Krümmel – auch sie wurden von den Konzernen mit Fragezeichen in Sachen Wirtschaftlichkeit versehen. In der dritten Gruppen die jungen Meiler Grafenrheinfeld, Gundremmingen B und C, Philippsburg 2, Grohnde, Brokdorf, Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 – sie würden besonders von der Verlängerung profitieren.