"Energie-Reise" der Kanzlerin: Merkel macht jetzt Wind

BERLIN/ROSTOCK - Die Kanzlerin besucht bei ihrer „Energie-Reise“ als erstes Windkraft-Anlagen – auch als Demonstration nach innen und außen, dass die Atomkraft nicht die größte Rolle spielt
Das Wetter passt immerhin: Genug Wind – und Regen – herrschten am Mittwoch bei der ersten Station der „Energie-Reise“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel angesagt. Die Rotoren drehten sich wunschgemäß zum Besuch der Kanzlerin. Insgesamt zehn Energie-Standorte will sie bis Ende August besuchen: eine Reise, die bewusst auch demonstrieren möchte, dass Atomkraft nur eine von vielen Technologien ist – tatsächlich spielt sie derzeit in den Konflikten die größte Rolle, regierungsintern wie nach außen.
Erste Station war am Mittwoch der Bürger-Windpark Ravensberg (Mecklenburg-Vorpommern): ein Modellprojekt, wie sich eine Gemeinde selbst versorgen kann. Merkel besichtigte die Anlage, lauschte in einem Zelt auf dem Acker neben den schlanken Stangen den Vorträgen. „Das ist eine Lernreise, keine Erklärreise“, sagt Merkels Sprecher Steffen Seibert. Die Kanzlerin wolle Dinge verstehen, wolle wissen, „auf welchen Gebieten wir stark sind und was wir noch tun müssen“.
Derzeit liegt der Anteil von erneuerbaren Energien in Deutschland bei 16,3 Prozent. Bis 2020 soll er auf 38,6 Prozent steigen, im Jahr 2050 soll die Versorgung komplett aus grünem Strom bestehen. Die Physikerin Merkel hat keine Vorbehalte gegen Kernkraft, macht aber auch klar, dass sie sie als „Brückentechnologie“ sieht, bis sie durch erneuerbare Energien ersetzt werden könne. Seibert: „Ziel der schwarz-gelben Regierung ist das regenerative Zeitalter.“ Das sehen allerdings nicht alle Teile der Union so.
Der Atom-Teil der Reise wird bewusst kleingehalten: In zwei Wochen steht das AKW Lingen auf dem Programm, zwischen einem Gaskraftwerk und einem Bioenergie-Werk. Die Kanzlerin soll auf die Atombranche derzeit nicht gut zu sprechen sein. Seibert mahnte in ihrem Namen die Branche, das „Säbelrasseln“ sei nicht hilfreich.
Bei dem Konflikt geht es erstens darum, wie viel länger die Meiler laufen dürfen, und zweitens, wie die so entstehenden zusätzlichen Gewinne der Branche abgeschöpft werden. Die Regierung plant eine Brennelementesteuer, die Firmen wehren sich dagegen und bieten eine Einmalzahlung. Schon der Fahrplan ist umstritten: Die Steuer soll am 1. September im Kabinett behandelt werden (damit ist sie noch nicht beschlossen). Das Energie-Konzept ist erst Ende September fertig: Externe Experten rechnen bis 27. August verschiedene Energie-Szenarien mit verschiedenen Laufzeiten aus. Daraus baut die Regierung ihr politisches Konzept.
Die Grünen sehen das demonstrative Interesse Merkels an Windkraft aber eher skeptisch: „Das ist schon wieder nur eine Show.“ Am Ende werde Merkel doch nur die Akw-Laufzeiten verlängern. Auch der Windbranchen-Verbandschef Hermann Albers fürchtet die Feigenblatt-Rolle: „Die Brücke zu erneuerbaren Energien ist längst überschritten.“ tan