«Endlich sagt der Westen Njet»

Die Leitartikler der europäischen Zeitungen befassen sich mit dem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in Tiflis. Der Grundriss einer «pax russa» im südlichen Kaukasus wird als Bedrohung für die Freiheit des Westens begriffen.
von  Abendzeitung
Merkel stützt Georgiens Präsidenten Saakaschwili
Merkel stützt Georgiens Präsidenten Saakaschwili © ap

Die Leitartikler der europäischen Zeitungen befassen sich mit dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Tiflis. Der Grundriss einer «pax russa» im südlichen Kaukasus wird als Bedrohung für die Freiheit des Westens begriffen.

La Stampa, Turin: «Die Stimme heben - die Erwartungen senken»

Seit gestern ist die Entfernung zwischen Brüssel und Tiflis kleiner geworden. Um dieses geografische Wunder zu vollbringen, bedurfte es der Kanonenschüsse der Roten Armee und des Durchbruchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin ist gestern nach Tiflis gereist, nachdem sie zuvor bereits in Sotschi Medwedew zurechtgewiesen hatte. Neben Michail Saakaschwili hat sie erklärt: «Georgien wird Mitglied der Nato.» Die Konsequenzen des Kriegs um Ossetien haben bereits die Berge des Kaukasus überschritten und zwingen die westlichen Politiker, sich in eine Reihe zu stellen, sich anzupassen, die Stimme zu heben und die Erwartungen zu senken.

Dziennik, Warschau: «Wenn Saakaschwili fällt?»

Endlich sagt der Westen dem Kreml «Njet». Merkel hat sich nicht nur mit Saakaschwili getroffen, sondern bei dieser Gelegenheit erklärt, dass Georgien in die Nato aufgenommen werden soll. Diese Erklärung, die man bislang aus Deutschland nicht herauspressen konnte, ist eine diplomatische Antwort auf die Nichterfüllung der Bedingungen des ausgehandelten Waffenstillstandes durch Russland. Das einzige konkrete Kriterium für die Wirksamkeit dieser westlichen Diplomatie wird das Überleben von Saakaschwili sein. Wenn dies gelingt, wird Russlands Gegenoffensive dort steckenbleiben, wo sie vor einer Woche begonnen hatte: an der Grenze von Abchasien und (Süd)-Ossetien. Wenn Saakaschwili fällt, wird das Projekt des Wiederaufbaus des Imperiums in Gang kommen.

The Times, London: «Nato muss effektiver werden»

Der Aufschub der Nato-Mitgliedschaft für Georgien und die Ukraine war richtig. Er erfolgte nicht aufgrund russischer Drohungen, sondern weil keines der beiden Länder die Mitgliedschaft bislang verdient hat. Beide müssen ihre demokratischen Reformen erst noch konsolidieren. In Brüssel muss die Nato sich am Dienstag nicht nur mit der aktuellen Krise im Kaukasus befassen, sondern auch mit der Notwendigkeit, ihre Kontroll- und Kommandostrukturen in Konfliktzonen effektiver zu gestalten. Nur dann können Garantien für die territoriale Integrität neuer Mitgliedsländer tatsächlich als Abschreckung vor Aggressionen wirken.

El Periódico de Catalunya, Barcelona: «Herr im Hinterhof»

Russland hat bewiesen, dass es im Kaukasus-Konflikt Herr der Lage ist. Mit dem Abzug seiner Truppen aus Georgien lässt Moskau sich Zeit, bis es ihm genehm ist. Damit bestätigt sich der Eindruck, dass die Doktrin der Einflusszonen aus der Zeit des Kalten Kriegs wieder neu in Kraft tritt. Russland lässt keinen Zweifel daran, dass es in der Krise nach eigenem Gutdünken agiert. Der Nato übermittelt es damit die Botschaft: Russlands kaukasischer Hinterhof ist allein eine Angelegenheit Moskaus. Die Europäer wurden von Moskau als Vermittler akzeptiert, aber sie spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Le Figaro, Paris: «Moskau testet unsere Reaktion»

Die Zukunft von uns Europäern entscheidet sich gerade im Kaukasus. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass Frankreich entschlossen handelt, um den in Südossetien geborenen Konflikt zu beenden. Weil der Kreml sich entschieden hat, unsere Reaktion in dieser entlegenen, aber strategisch bedeutsamen Gegend unseres Kontinentes zu testen, darf man es nicht darauf beruhen lassen. Von der Antwort auf den Willen Russlands, sich als Großmacht durchzusetzen, hängen der Friede und der Wohlstand Europas ab. Von unserer Antwort können auch die Entscheidungen abhängen, die in Moskau gefällt werden.

Der Standard, Wien: «Diktatfrieden ist eine Drohung»

Zwei Flugstunden von Wien entfernt lassen sich in diesen Tagen die Grundrisse einer neuen Friedensordnung betrachten. Am Ostrand Europas ist die «Pax russa» aufgetaucht. Der Diktatfrieden, den Moskau nun seiner früheren Sowjetrepublik Georgien aufdrückt, könnte ihr erster Teil sein. «Pax russa» war bisher ein Begriff, den vor Jahren allenfalls Kritiker von Russlands Vernichtungsfeldzug gegen die Tschetschenen und deren Rebellen verwendeten. Seit der Besetzung Georgiens vor mehr als einer Woche ist der «russische Frieden» aber eine Drohung für Europa und die USA geworden: allumfassend, Gaslieferungen ebenso in Frage stellend wie demokratische Wahlen, Justizermittlungen wie im Fall des in London ermordeten Ex-Agenten Litwinenko oder das Recht auf souveräne außenpolitische Entscheidungen. (dpa)

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