„Ende der Linken“ - Andre Brie im AZ-Interview
Bei der Linken eskaliert vor der Klausur am Montag der Machtkampf. Andre Brie, der Quer- und Vordenker der Linken, erklärt im AZ-Interview die Konflikte in seiner Partei – um Lafontaine, Kritiker Bartsch und die sektiererischen Kräfte in den West-Verbänden
Der Machtkampf bei der Linken spitzt sich zu – heute beginnt die Jahresauftaktklausur der Partei. Zentrale Figuren sind Parteichef Oskar Lafontaine und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch: Lafontaine wollte nach der Krebs-OP im November auf dieser Klausur seine Zukunft erklären. Nun hat er ausrichten lassen, damit lasse er sich wegen anstehender Untersuchungen noch Zeit, vermutlich bis Mitte Februar.
Doch eine Rolle spielen auch die schwelenden Kämpfe: Westdeutsche Landesverbände fordern den Rücktritt von Bartsch, wegen Illoyalität und Kritik an Lafontaine. Sie lancieren, dass Lafontaine erst dann seinen Verbleib als Parteichef erklären will, wenn Bartsch weg ist. Lafontaine-Vize Klaus Ernst sagte gestern: „Bartsch hat Fehler gemacht, deswegen haben wir jetzt ein Problem.“ Bartsch selbst verteidigte sich gestern und sagte, dass es zwischen Lafontaine und ihm keine Probleme gebe. Er machte deutlich, dass er um seinen Job kämpfen will.
Dahinter steckt mehr als ein persönlicher Streit. Denn Bartsch steht für den pragmatischen Reformer-Flügel – auch sein kürzliches Treffen mit SPD-Chef Gabriel wurde von westdeutschen Fundis scharf kritisiert, die die Partei auf Radikal-Opposition trimmen wollen.
AZ: Herr Brie, was ist da los bei der Linken? Ist das ein Machtkampf zwischen Personen oder ein Richtungsstreit um Inhalte?
BRIE: Beides. Erstens ist es ein tiefer innerer Konflikt zwischen sehr unterschiedlichen Gruppen, die eine völlig verschiedene Entwicklung der Partei anstreben. Auf der einen Seite vor allem ostdeutsche Vertreter, die eine realistische, in die Gesellschaft gerichtete Politik wollen. Auf der anderen Seite starke Kräfte im Westen, die eine Nischen-Politik machen wollen. Zweitens ist es der Versuch, mit Dietmar Bartsch einen der letzten wirksamen Vertreter aus der Parteispitze zu kegeln, der für die moderne, realistische Kultur steht.
Halten Sie es für denkbar, dass Lafontaine tatsächlich nur wieder antritt, wenn Bartsch gehen muss?
Das halte ich für ausgeschlossen. Hier sind Parteimitglieder am Werk, die Lafontaine benutzen wollen, um sich durchzusetzen: radikal orientierte, gut organisierte Gruppen, zum Teil mit sektiererischen Zügen. Im Osten sind wir Volkspartei, wir haben lange Entwicklungsprozesse durchlaufen.
Sind die Linken am Scheideweg? Ist die Lage so ernst?
Es gibt zwar keinen akuten Zeitdruck, wir sind in den Umfragen in einer komfortablen Situation. Allerdings haben wir die programmatische Auseinandersetzung sträflich vernachlässigt. Wenn wir diese Frage nicht lösen – und zwar zugunsten einer modernen, demokratischen Strategie –, dann droht das Ende einer neuen Linken.
Wie stark ist das Vakuum durch die krankheitsbedingte Pause von Lafontaine?
Sehr ernst. Wir sind in einer Weise von ihm abhängig, die für eine demokratische Partei nicht akzeptabel ist. Mit ihm steht und fällt die Partei. Es wurde völlig vernachlässigt, andere Personen aufzubauen.
Was erwarten Sie von der Klausur, die heute beginnt – eine tatsächliche Klärung?
Ich erwarte, dass diese Tagung vor allem eine starke Orientierung auf eine praktische, realistische Politik bringt. Das ist ohnehin das Wichtigste. Die notwendigen strategischen Fragen zu klären, wird viel länger dauern, vielleicht Jahre. Da nützt es nichts, wenn Beschlüsse von oben kommen.
Wie stark sind die beiden Lager?
Die Reformkräfte sind sehr geschwächt. Erstmals in der Geschichte von PDS und Linke sind sie tatsächlich in der Defensive. Die Gegenkräfte sind sehr gut organisiert. Die Reformer sind zwar quantitativ stark, aber sie haben keine Durchsetzungskraft.
Sie sind nicht sehr optimistisch?
Nein. Das bin ich nicht.
Interview: tan