Empörung über Dobrindts Kritik an "Anti-Abschiebe-Industrie"

Berlin - Kritische Äußerungen des CSU-Spitzenpolitikers Alexander Dobrindt über eine "aggressive Anti-Abschiebe-Industrie" in Deutschland trüben das ohnehin schon angespannte Verhältnis zum Regierungspartner SPD.
Die Zusammenarbeit in der Koalition werde nicht einfacher, wenn die CSU wegen der Landtagswahl Mitte Oktober von einer "permanenten Profilneurose" befallen sei, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Carsten Schneider, im SWR. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs sprach in der Welt von einem verzweifelten Versuch der CSU, AfD-Wähler zurückzuholen.
Dobrindt kritisiert Anwälte und Hilfsorganisationen
Dobrindt hatte der Bild am Sonntag mit Blick auf Anwälte und Hilfsorganisationen gesagt, wer mit Klagen versuche, die Abschiebung von Kriminellen zu verhindern, arbeite nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden.
Der Deutsche Anwaltverein wertete diese Äußerungen als schweren Angriff auf den Rechtsstaat. Vereinspräsident Ulrich Schellenberg sagte der Deutschen Presse-Agentur, auch SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles müsse sich bei der Klausurtagung der Fraktionsführungen von Union und SPD am Montag auf der Zugspitze klar dagegen positionieren. "Kein Demokrat kann das einfach so stehen lassen."
Seehofer nimmt Dobrindt in Schutz - CDU geht auf Distanz
CSU-Chef Horst Seehofer nahm seinen Parteifreund dagegen in Schutz. "Niemand will den Rechtsstaat infrage stellen", sagte er vor einer CSU-Präsidiumssitzung in München.
Doch auch die CDU ging auf Distanz. Es gebe in Deutschland ein gut ausformuliertes Asylrecht und auch die Rechtswege dazu, sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer im ZDF-Morgenmagazin. Menschen, die "Asylanten" helfen wollten, setzten auf die Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet. "Solange wir diese Rechtslage haben, und wir stehen zu dieser Rechtslage, kann man sich nicht darüber beklagen, wenn dann Rechtswege auch genutzt werden."
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der Mitteldeutschen Zeitung: "Statt Probleme wirklich anzupacken, macht Herr Dobrindt mit plumpen AfD-Sprüchen Bayern-Wahlkampf."
Seehofer: Regierung bei der Planung der Ankerzentren im Zeitplan
Seehofer sagte zu der Kritik, man müsse "schon auf die Tatsache hinweisen, dass die Asylbescheide in ungewöhnlich hoher Zahl beklagt werden". "Fast jeder zweite Asylbescheid landet vor Gericht. Das kostet Zeit, bindet Ressourcen, oft in absolut vergleichbaren Sachverhalten." Zum Begriff einer "Anti-Abschiebe-Industrie" wollte sich Seehofer aber auf Nachfrage nicht äußern.
Bei der Planung der sogenannten Ankerzentren für Flüchtlinge sieht Seehofer die Regierung im Zeitplan. "Wir sind jetzt nicht einmal acht Wochen im Amt, und wir sind da mit großem Tempo unterwegs", betonte er. Er werde "exakt das realisieren", was im Koalitionsvertrag steht. "Ich bin da sehr vertragstreu."
Bundesländer signalisieren wenig Interesse an Ankerzentren
Wer nicht als Flüchtling anerkannt wird, soll aus den sogenannten Ankerzentren bald direkt abgeschoben werden können, dies wurde im Koalitionsvertrag so festgehalten. Der Begriff "Anker" steht dabei für "Ankunft, Entscheidung sowie Verteilung beziehungsweise Rückführung". Bislang haben allerdings erst wenige Bundesländer Interesse signalisiert, am Pilotprojekt teilzunehmen.
Heute wollten sich auch die Unionsfraktionschefs aus Bund und Ländern in Frankfurt am Main treffen. Eines der wichtigsten Themen ist die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Erwartet wird auch Kanzlerin und CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte von Seehofer, seine Pläne zu konkretisieren. Er sollte die Länder und Kommunen eng einbinden, sagte er der Berliner Zeitung (Montag). "Das ist bislang nicht passiert."
Die Deutsche Polizeigewerkschaft forderte ein Sicherheitskonzept mit strengen Auflagen für die Ankerzentren. So müsse es eine umfassende Überwachung durch Videokameras geben, sagte ihr Vorsitzender Rainer Wendt der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Gewalteskalation bei geplanter Abschiebung in Ellwangen
Im baden-württembergischen Ellwangen hatten vor einer Woche 150 bis 200 Flüchtlinge - einige von ihnen gewaltsam - verhindert, dass die Polizei einen Mann aus Togo aus einer Flüchtlingsunterkunft abholen konnte. Der 23-Jährige wurde bei einem Großeinsatz wenige Tage später doch noch gefasst, sitzt nun in Abschiebehaft und wehrt sich mit rechtlichen Mitteln. Er soll nach Italien abgeschoben werden.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte Seehofer auf, für die geplanten Zentren ein Konzept vorzulegen, um einen erneuten Vorfall wie in Ellwangen zu verhindern. Man brauche "ein schlüssiges Konzept, das verhindert, dass die Menschen dort ohne Perspektiven und ohne sinnvolle Beschäftigung sich selbst überlassen werden", sagte Klingbeil der Heilbronner Stimme.
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