Eine Reise ins Ungewisse

Leri Datashvili ist Wissenschaftler an der TU München und reist derzeit mit dem Auto in seine Heimatstadt Tiflis. Abendzeitung.de erreichte den Georgier in Istanbul. Im Gespräch erklärt er, warum er die Schuld für die Eskalation in Südossetien bei Russland sieht und der Ausbruch eines blutigen Konflikts keine Überraschung ist.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN / ISTANBUL - Leri Datashvili ist Wissenschaftler an der TU München und reist derzeit mit dem Auto in seine Heimatstadt Tiflis. Abendzeitung.de erreichte den Georgier in Istanbul. Im Gespräch erklärt er, warum er die Schuld für die Eskalation in Südossetien bei Russland sieht und der Ausbruch eines blutigen Konflikts keine Überraschung ist.

Es sollte eine entspannte Reise werden - mit dem Auto von München nach Tiflis. Sogar ein paar Tage Strandurlaub in der Türkei hatte Leri Datashvili eingeplant. Doch seit Freitagmorgen ist alles anders. Denn das Heimatland des wissenschaftlichen Mitarbeiters am Institut für Raumfahrttechnik der Münchner TU hat eine militärische Großoffensive in der Region Südossetien gestartet - und befindet sich nun in einem kriegsähnlichen Zustand mit Russland.

Die Nachricht vom neuerlichen Ausbruch der Gewalt im Kaukasus erreichte Datashvili und seine beiden Töchter in Istanbul. Jetzt will der Georgier, der seit sieben Jahren in München lebt, so schnell wie möglich die georgische Hauptstadt Tiflis erreichen. Denn dort befinden sich seine Frau und sein Sohn, die bereits am Dienstag von München aus nach Georgien geflogen sind.

"Russische Provokationen"

Für den Wissenschaftler kommt die Eskalation weniger überraschend als für die Weltöffentlichkeit. Deren Augen waren zunächst ganz auf die olympischen Spiele gerichtet. Während jedoch in Peking mit einem gigantischen Spektakel das olympische Feuer entzündet wurde, regneten Bomben auf Südossetiens Provinzhauptstadt Zchinwali. Bereits in den vergangenen Tagen habe es zunehmend Provokationen und russische Angriffe auf georgische Dörfer gegeben, sagt Datashvili, den abendzeitung.de telefonisch in Istanbul erreichte. Für eine logische Konsequenz hält der Georgier daher die Invasion seines Heimatlandes.

Ohnehin sieht Datashvili die Gründe für die blutige Eskalation bei den Russen. Seit sich die abtrünnige Republik Südossetien 1992 von Georgien abgespalten hat, unterstützt Russland das 70000-Einwohner-Land, verteilt freigiebig russische Pässe und Sozialleistungen. Viele Georgier sehen darin den Versuch des Kreml die Macht in der verarmten Bergregion auszuweiten. In der Tat gilt Südossetien völkerrechtlich als Teil des westlich orientierten Georgiens. Allerdings stimmte die abtrünnige Republik 1992 und 2006 für die Unabhängigkeit. Das wurde zwar international nie anerkannt, doch es bildete sich eine de-facto-Regierung, die von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde.

Der Traum von Wohlstand und Freiheit

Datashvili, der dem „Georgischen Verein in Deutschland" vorsitzt, sieht das jedoch ganz anders. Russland sei der eigentliche Aggressor und die Bemühungen des Kreml die Macht in Südossetien auszudehnen letztlich eine illegale „Einverleibung von georgischem Staatsgebiet". Ohnehin habe man den Mächtigen in Moskau und ihrer Kaukasus-Politik noch nie getraut: „Die Russen sind nicht neutral, sie verfolgen ihre eigenen Interessen", sagt er. „Alle wichtigen Ämter in Südossetien werden von Russen besetzt". Die „normalen Leute", sagt Datashvili, wollten einfach nur Wohlstand und Freiheit.

Doch davon sind die Menschen in Südossetien derzeit weit entfernt. Statt um Wohlstand und Freiheit geht es für Tausende nur mehr um Leben und Tod. Groß ist die Befürchtung der blutige Konflikt könnte auf ganz Georgien überschwappen. „Es muss schnell eine internationale Friedenstruppe stationiert werden – nur so kann es Frieden geben", ist sich Datashvili sicher.

Leri Datashvili will am Sonntag die Grenze zwischen der Türkei und Georgien überqueren um am Abend seine Frau und seinen Sohn in Tiflis zu treffen. Präsident Michail Saakaschwili hat derweil das Kriegsrecht verhängt, in der Hafenstadt Poti schlugen Bomben ein und auch in Stützpunkten nahe Tiflis. Aus der Urlaubsreise, die in München begann und bis in die Heimat führen soll, ist eine Fahrt ins Ungewisse geworden. Womöglich eine Reise in den Krieg.

Reinhard Keck

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