Eine Glaubensfrage

Der Vize-Chefredakteur der AZ Georg Thanscheidt über die heute beginnende Volkszählung.
von  Georg Thanscheidt

Achtung, hier schreibt ein entschiedener Volkszählungs-Gegner! Was habe ich mich im jugendlichen Übermut über die abgebrochene Umfrage-Aktion von 1983 und den durchgeführten Zensus von 1987 echauffiert. Jahrelang pappte der nicht ausgefüllte Volkszählungsbogen quasi als Trophäe an meiner Pinnwand. Und heute? Heute sehe ich das anders.

Skepsis ist weiterhin angebracht, wenn der Staat seine Helfer ausschickt, um persönliche Daten einzusammeln. Aber für einen Boykott sehe ich bei diesem Zensus keinen Grund. Mag sein, dass ich vertrauensseliger geworden bin. Mag sein, dass das gesellschaftliche Klima sich geändert hat – weg von der Big-Brother-Hysterie hin zum „Ich-stelle-alle-meine-Daten-online“-Unfug. Aber entscheidender ist, dass sich – auch durch den Streit um die Volkszählung in den 80er Jahren und das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts – ein Bewusstsein für Datenschutz entwickelt hat. Niemand käme auf die Idee – wie 1983 – den Zensus mit dem Ausloben von Kopfgeld für nichtgemeldete Ausländer zu verknüpfen. Kein Politiker verspricht ein besseres Deutschland – wie 1987, als die Volkszählung „zum Abbau der Benachteiligung der Frau am Arbeitsplatz“ beitragen sollte.

Dieses Mal geht es lediglich um fehlende Studienplätze, verschwundene Wohnungen und schätzungsweise 1,3 Millionen Deutsche, die nur auf dem Papier existieren. Niemand außer die Statistiker soll Zugriff auf die Daten haben, beteuern die Organisatoren. Wisst ihr was: Diesmal glaube ich es euch.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.