Eine Branche braucht Starthilfe

Die Auto-Krise trifft vor allem Bayern: BMW kündigte eine Zwangspause für die Fertigung an, vor den Werkstoren herrscht jetzt Angst und Wut. EU-Kommissar Verheugen will die Industrie mit günstigen Krediten wieder ankurbeln
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Die Auto-Krise trifft vor allem Bayern: BMW kündigte eine Zwangspause für die Fertigung an, vor den Werkstoren herrscht jetzt Angst und Wut. EU-Kommissar Verheugen will die Industrie mit günstigen Krediten wieder ankurbeln

Wie fühlt sich das an, wenn über 40000 Beschäftigte in Zwangsferien geschickt werden? Schlecht. Das BMW-Werk München, gestern Nachmittag. Busse spucken vor dem Werktor 5 Beschäftigte aus, die zur Schicht um drei antreten. Die Frühschichtler strömen aus dem Gebäude. Nächste Woche wird es anders sein, denn dann bekommen die Mitarbeiter hier und an den Standorten Regensburg und Dingolfing eine einwöchige Zwangspause aufgebrummt – wegen der schlechten Auftragslage als Folge der Finanzkrise. Derweil suchen Politiker in Bayern, Deutschland und Europa nach Wegen aus der Krise. Nicht ohne Grund: Die Auto-Industrie ist mit 758000 Beschäftigten die wichtigste Branche in Deutschland. Eine Massen-Arbeitslosigkeit wäre eine Katastrophe.

Die BMW-Beschäftigten wollen über ihre Angst um den Job reden, ihre Namen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. Aus Angst vor Folgen. „Ich fühle mich ausgetrickst!“, schimpft ein BMW-Mitarbeiter. „Letztes Jahr wurde uns gesagt, dass wir Auftragsrückgänge mit dem Abbau von Überstunden abfedern können. Jetzt kommen wir mit unseren Zeitkonten ins Minus – und bekommen dafür keinen Ausgleich. Wir machen uns Sorgen um unser Geld.“ Sauer ist auch ein Motorenbauer, der seit 30 Jahren bei der Firma ist: „Das ist absoluter Wahnsinn und absolut kriminell! Manche von uns bauen jetzt bis zu 200 Minus-Stunden auf. Bei uns im Motorenbau ist es am allerschlimmsten. Und sämtliche Leihwerker kommen weg.“

"Mir tun die vielen Zeitarbeiter leid"

Ein Mann, der seit 17 Jahren als Innenausstatter arbeitet, sagt: „Mir tun die vielen Zeitarbeiter leid, die nun nicht mehr zu BMW zurückkehren können. Aber auch uns selbst trifft es: Viele von uns überlegen, ob wir in den Zwangsferien einen Nebenjob aufnehmen müssen. Wir haben Angst vor Kurzarbeit.“

Ein Leiharbeiter, der seit über sechs Jahren bei BMW ist, klagt: „Für uns gibt es keine Hoffnung mehr, uns trifft es immer zuerst. Die Stimmung bei BMW ist schlecht. Ich gehe putzen, um zusätzlich Geld zu verdienen – aber meine Familie mit zwei Kindern kommt so nicht über die Runden. Immerhin kann ich in den Zwangsferien meine Kinder sehen.“

Verheugen will 40 Milliarden Euro Kredite vergeben

Angesichts der Krisenstimmung in der europäischen Autoindustrie hat EU-Industriekommissar Günter Verheugen gestern Vertreter der Industrie und mehrere Regierungsvertreter zu einem Auto-Gipfel nach Brüssel geladen. Verheugen forderte Kredithilfen für die Branche: „Es geht um ein Gesamtkreditvolumen von 40 Milliarden Euro“, sagte Verheugen. Das Geld solle die Europäische Investitionsbank zur Verfügung stellen. Die Autobauer bräuchten dringend Geld für die Entwicklung von schadstoffärmeren Autos.

Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück will helfen: durch eine Reform der Kfz-Steuer. Fahrzeuge mit geringem CO2-Ausstoß sollen einen niedrigeren Steuersatz bekommen als „Stinker“. So sollen Kunden zum Kauf von Neu-Fahrzeugen ermuntert werden. Direkte Zahlungen der Regierung lehnt Steinbrück allerdings ab. Der Verband der Automobilindustrie hatte von der Regierung zinsgünstige Kredite gefordert.

Sogar vor dem Münchner Werkstor wird eine Staats-Hilfe skeptisch gesehen: Werner Raab, der seit 25 Jahren bei BMW arbeitet, sagt: „ Die Automobilindustrie kommt immer wieder auf die Füße. Der Ruf nach staatlicher Hilfe ist nicht okay. Jahrelang haben die Auto-Bosse Geld gescheffelt. Jetzt, wo es ihnen einmal schlecht geht, ist der Hilfeschrei nicht berechtigt.“

Volker ter Haseborg, Elena Panagiotidis

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