"Ein Urteil - so wichtig wie eine letzte Umarmumg"

Am 1. April 2014 findet der 100. Verhandlungstag des NSU-Prozesses statt - der Korrespondent der türkischen Zeitung Sabah über das Verfahren
Rahmi Turan |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Rahmi Turan ist Münchner Korrespondent der türkischen Zeitung "Sabah". Er berichtet vom ersten Prozesstag an vom NSU-Verfahren.
AZ Rahmi Turan ist Münchner Korrespondent der türkischen Zeitung "Sabah". Er berichtet vom ersten Prozesstag an vom NSU-Verfahren.

München - Ja, es ist auch ein normaler deutscher Strafprozess. Aber einer mit bitterem Beigeschmack – dem der Fremdenfeindlichkeit.

Gerade das vergisst der Vorsitzende Richter Manfred Götzl gelegentlich. Dabei hat Götzl eigentlich alle Eigenschaften, die sich die türkische Community in Deutschland wünscht: Er ist hart und er ist ein Patriarch mit trockenem Humor und voller Emotionen.

Aber er ist auch und vor allem ein Techniker. Ihm geht’s darum, die Mittäterschaft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe festzustellen.

Dabei vergisst er einen weiteren Punkt: Nämlich wie verkorkst diese Neonazis sind.

Nicht nur die Medienvertreter ärgern sich darüber, dass manche Zeugen sich wie die bekannten drei Affen verhalten: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen.

Keiner aus dem Umfeld der Angeklagten will sich an irgendetwas erinnern. Sie wissen angeblich nichts, sie können Geschehnisse und Aussagen nicht zuordnen, sie waren damals jung und unerfahren. Sie haben sich angeblich aus der Szene verabschiedet.

Aus ihrer Sicht ist das verständlich – sie wollen sich ja gegenseitig schützen. Schwer verständlich für den „Türken auf der Straße“ ist allerdings die Rolle der Bundesanwaltschaft.

Immer wenn die Anwälte der Nebenkläger den Zeugen bohrende Fragen stellen, legen deren Juristen sofort Einspruch ein. Aber: So lange die Rolle des Verfassungsschutzes nicht geklärt ist, bleibt unter Türken der Zweifel, was der „Tiefe Deutsche Staat“ mit den Morden zu tun haben könnte (der Begriff „Tiefer Staat“ bezeichnet die Annahme, dass es in der Türkei eine konspirative Verflechtung von Militär, Justiz, Geheimdiensten, Rechtsextremisten und Organisierter Kriminalität gibt, d. Red).

Niemand kann eine Verharmlosung dieser schrecklichen Morde akzeptieren. Die ausländerfeindlichen und die menschenverachtende Motive der Täter müssen besonders berücksichtigt werden.

Die Opferfamilien erinnern sich gut an das Versprechen der Bundeskanzlerin, die Morde aufzuklären – auch als Warnung vor Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit gegenüber Intoleranz und Rassismus. Eine große Aufgabe. Ob das Oberlandesgericht dem tatsächlich gewachsen ist, sehen wir frühestens 2015.

Was bleibt, ist der Schmerz, das Leid der Opferfamilien. Es ist sehr wichtig, dass sie in diesem Verfahren Gehör finden. Schließlich bei einer Urteilsverkündung dabei zu sein, ist für die Hinterbliebenen gleichbedeutend damit, ihre verstorbenen Liebsten noch ein letztes Mal umarmen zu können.

 

Rahmi Turan ist Korrespondent der türkischen Zeitung „Sabah“, mit der die AZ seit Beginn des NSU-Prozesses kooperiert. Anlass für diese Zusammenarbeit war die damalige Entscheidung des OLG München, das Bewerbungsverfahren um die Presseplätze so zu gestalten, dass kein türkisches Medium beim Verfahren dabei sein konnte - und das obwohl acht von zehn Opfer der NSU aus der Türkei stammten.

Die AZ fasste daraufhin im Apri 2013 den Beschluss, alle Berichte vom NSU-Prozess ins Türkische zu übersetzen - auf einer Seite in der gedrucken Zeitung, laufend auf unserer Web-Präsenz. Zeitgleich klagte "Sabah" vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Platzvergabe - und bekam Recht. Eine Übersetzung war seitdem nicht mehr nötig - die Kooperation mit Rahmi Turan und Sabah blieb bestehen. Der Münchner Journalisten gibt zudem das "Sultans Magazin" heraus.

Hier eine Auswahl an übersetzten Texten:

Rahmi Turan über das Projekt

Richter Götzl im Porträt

Der Bericht über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

 

 

 

 

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.