Ein Rabatt für Raser und Drängler?

Die Verkehrssünderdatei soll neu geregelt werden. Verkehrsminister und ADAC versprechen mehr Transparenz und Sicherheit. Kritiker befürchten, dass die Vereinfachung mehr schadet als nützt  
von  kf, va

Die Verkehrssünderdatei soll neu geregelt werden. Verkehrsminister und ADAC versprechen mehr Transparenz und Sicherheit. Kritiker befürchten, dass die Vereinfachung mehr schadet

Ein Bonbon für die Autofahrer? Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will ab 2013 das Flensburger Punktesystem vereinfachen. Ende Februar soll das mit ADAC-Verkehrsjuristen entworfene Konzept präsentiert werden, seit gestern diskutiert die Republik über die ersten Eckpunkte. Kritiker befürchten, dass die Reform zu weniger Verkehrssicherheit führen wird – und halten Ramsauers Reform für ein Geschenk an Raser. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.

Warum soll es Neuregelungen geben? Bereits in der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung heißt es: „Das Punktesystem beim Bundeszentralregister in Flensburg wollen wir reformieren, um eine einfachere, transparentere und verhältnismäßigere Regelung zu schaffen.“ Der ADAC bejubelte gestern eine „Revolution in Flensburg“.

Was ist bei der Punkteregelung geplant? Verkehrssünder sollen ihren Führerschein künftig schon bei acht Punkten abgeben müssen – bislang droht dieser Schritt erst bei 18 Punkten. Eine Verschärfung bedeutet das jedoch nicht, wie Ramsauer betont: „Acht Punkte werden nicht strenger gehandhabt, als das bei 18 Punkten der Fall ist.“ Denn künftig werden Vergehen nur noch mit ein oder zwei Punkten in Flensburg bewertet – statt wie bisher mit bis zu sieben.

Ramsauer: „Bei Vergehen, bei denen es bisher bis zu drei Punkten gab, soll es künftig nur noch einen Punkt geben.“ Das betrifft „grobe“ Verkehrsverstöße wie etwa zu schnelles Fahren. „Schwere“ Vergehen wie das Überfahren einer roten Ampel führen zu zwei Punkten – statt wie bislang zu vier bis sieben Punkten. Ein Beispiel: Bisher ist der Schein beim sechsten Mal Rasen weg (drei Punkte pro Delikt bis maximal 18), künftig beim achten (ein Punkt pro Delikt bis maximal acht). Bei Trunkenheit wird der Führerschein weiter sofort entzogen.

Kritiker sprechen von einer „Vereinfachung auf Kosten der Verkehrssicherheit“.  SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol zur AZ: „Es darf keinen Rabatt für Raser und Drängler geben.“ Genau das befürchtet auch der Sprecher des Verkehrsclubs VCD Gerd Lottsiepen: „Nach Ramsauers Vorschlag dürften Autofahrer häufiger mit 60 Kilometern pro Stunde durch eine Tempo-30-Zone rasen, bevor der Führerschein entzogen wird.“

Ab wie vielen Punkten gibt es eine Ermahnung? Bei vier gesammelten Punkten gäbe es eine Ermahnung, bei sechs Punkten eine letzte „Verwarnung“.

Welche Vergehen werden neu bewertet? An den Details arbeitet das Ministerium noch. Einige Punkte stehen laut ADAC fest: „Verstöße wie Handy am Steuer sollen schwerer ins Gewicht fallen“, so eine ADAC-Sprecherin. Verstöße, die nicht die Sicherheit gefährden, würden nicht mehr mit Punkten geahndet. Beispiel Umweltzone: Zukünftig soll es keinen Punkt mehr geben, wenn man ohne passende Plakette hinein fährt. Ein Bußgeld soll es aber weiter geben.

Gehen die Bußgelder rauf? Die „Bild“ hatte von Plänen für höhere Bußgeldern berichtet. Laut ADAC und Bundesverkehrsministerium gibt es aber keine solchen Pläne. Was ändert sich bei der Verjährung? Jeder Eintrag in die Verkehrssünderdatei verjährt in Zukunft einzeln: Ein Punkt nach zwei Jahren, zwei Punkte nach drei Jahren. Heute gibt es automatische Verlängerungen der Einträge, wenn innerhalb der Tilgungsfrist neue Verkehrssünden hinzukommen. Das soll wegfallen.

Gibt’s demnächst mehr Transparenz? Das will Ramsauer. Volker Lempp, Chefjurist des Automobil Club Europa (ACE), sieht noch mehr Baustellen: Punkteerhalt, -stand und -verfall müssten automatisch mitgeteilt werden. Die derzeitige Situation sehe anders aus: „Bei jedem Verkehrsdelikt muss ein Anwalt erst einmal den Bußgeldstand erfragen, weil der betreffende Mandant das gar nicht weiß.“

Wie steht es um die 47 Millionen Punkte, die sich in Flensburg angesammelt haben? Das ist völlig unklar. Experten fordern, bei der Umwandlung ganz genau hinzuschauen: Eine Amnestie dürfe es nicht geben, so Jurist Lempp.


 

Wo Trunkenheit am meisten kostet

Der Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, dass die deutschen Autofahrer bei Verkehrs-Verstößen relativ günstig wegkommen – in den meisten anderen Ländern sind die Strafen härter: Alkohol am Steuer – beim nördlichen Nachbarn Dänemark werden da laut ADAC schnell mehrere tausend Euro fällig: mindestens ein Netto-Monatsgehalt.

In Großbritannien liegt die Toleranzgrenze zwar bei 0,8 Promille, dafür müssen Autofahrer dort bis zu 5820 Euro zahlen. Für 20 Stundenkilometer zu schnell zahlen Autofahrer in Deutschland bis zu 35 Euro. In Schweden kostet das mindestens 270, in Norwegen gar 465 Euro.

Wer mehr als 50 km/h zu schnell unterwegs ist, muss in Deutschland mindestens 240 Euro hinlegen, beim westlichen Nachbarn Frankreich pauschal 1500 Euro. Nur in Malta ist das richtig billig: Mit Glück zahlt man dort gerade mal 25 Euro.

Übrigens: Seit Oktober 2010 gilt ein Abkommen, dass die EU-weite Vollstreckung von Geldbußen ermöglicht. In anderen Staaten verhängte rechtskräftige Bußgelder werden auch in Deutschland vollstreckt.

 

 

 

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