Ein Kriminalbeamter über die Flüchtlingskrise

Hier rechnet André Schulz, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, mit der Asylpolitik ab, kritisiert das Sparen an der Polizei und gibt einen Einblick in die Kriminalstatistik.
Timo Lokoschat |
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Im Dauereinsatz: die Polizei. Für sie meldet sich BDK-Chef André Schulz (kl. Foto) jetzt zu Wort.
dpa/BDK Im Dauereinsatz: die Polizei. Für sie meldet sich BDK-Chef André Schulz (kl. Foto) jetzt zu Wort.

Während die EU-Innenminister das Problem wieder einmal vertagen, ist die Polizei seit Wochen im Dauereinsatz: an den Bahnhöfen und in den Zügen, an den Grenzübergängen und Autobahnen, in den Städten und Kommunen.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, übt deutliche Kritik. Seine Thesen:

Die Politik der Bundesregierung: „Die Kanzlerin lädt nach Deutschland ein, der Bundesinnenminister muss wenige Tage später erklären, dass das wohl doch nicht so gemeint war. Dieses Hin und Her macht die ganze Planlosigkeit der Bundesregierung deutlich. Dabei steht viel mehr auf dem Spiel – und Europa als Gesamtgebilde auf dem Prüfstand.“

Die Flüchtlingszahlen: „Unisono verkündeten Politiker quer durch die Parteienlandschaft, dass niemand mit dieser starken Zuwanderungswelle habe rechnen können. Konnte man nicht? Dieser klägliche Versuch, Verantwortung von sich zu weisen, kann sehr schnell als das entlarvt werden, was er ist: schlichte Lüge oder das Fehlen jeglicher Kompetenz.

Der ,Arabische Frühling’ begann im Dezember 2010. Bereits 2011 wurden zum Beispiel im Bundeslagebild des Bundeskriminalamts mit Blick auf die zunehmende Schleuserkriminalität steigende Flüchtlingszahlen aus den betroffenen Ländern prognostiziert. Ebenso 2012, 2013 und 2014.

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Hätten sich unsere verantwortlichen Politiker auf EU- und Bundesebene nicht diesen Erkenntnissen nach dem Prinzip der drei Affen (nichts hören, nichts sehen, nichts sagen) verschlossen, hätten wir uns auf die Situation ganz anders einstellen können.“

Die Rolle der EU: „Dazu kommt erschwerend, dass Europa nicht mit einer Stimme spricht, keine einheitliche Asyl- und Außenpolitik und auch keine echte gemeinsame Verteidigungspolitik betreibt. So ein System ist anfällig.

Die gute europäische Vision wird von Politikern konterkariert, die Maßnahmen nicht in aller Konsequenz zu Ende denken. So wurden bis heute nicht wirklich die Rahmenbedingungen dafür geschaffen, damit die Sicherheitsbehörden nach Schaffung des Schengen-Raums angemessen auf die weggefallenen Ländergrenzen reagieren konnten.“

Die Lasten für die Polizei: „Die Polizei ist es, die mal wieder mit den Konsequenzen einer fehlgeleiteten Politik an vorderster Linie zu kämpfen hat. Die Polizei im Bund und in den Ländern arbeitet am Limit und das nicht erst seit Kurzem. Jahrelange Warnrufe der Gewerkschaften, dass der ungebremste Stellenabbau und das Kaputtsparen der Polizei verantwortungslos sind und nicht mehr lange gut gehen werden, verhallten größtenteils ungehört.“

Der Aufenthaltsort von Flüchtlingen in Deutschland: „Durch die nicht mehr vorhandenen Binnengrenzen sind mehrere Zehntausend Flüchtlinge unkontrolliert und ohne Erfassung nach Deutschland eingereist. Zahlreiche Asylbewerber sind mittlerweile aus Aufnahmeeinrichtungen verschwunden und unbekannten Aufenthaltsortes. Einige sind weiter nach Skandinavien gereist, aber viele wohnen derzeit auch unangemeldet bei Freunden und Verwandten in Deutschland.

Die Sicherheitsbehörden haben darüber Erkenntnisse, dass unter den Flüchtlingen mehrere Dschihad-Rückkehrer sind. Nur kennen wir längst nicht alle. Damit sind die tatsächliche Gefährdungslage und das Risiko für terroristische Anschläge in Deutschland derzeit nicht mehr seriös zu beantworten.“

Kriminalität: „Rund zehn Prozent der Asylbewerber werden strafrechtlich auffällig und begehen Taten aus dem Bereich der Eigentums-, Gewalt- und Drogendelikte. Im Ergebnis werden diese Taten die Kriminalstatistik aller Voraussicht nach schon in diesem Jahr im sechsstelligen Bereich anwachsen lassen.

Sehr bemerkenswert dabei ist, dass so gut wie nie syrische Kriegsflüchtlinge unter den Tatverdächtigen sind. Die Täter sind in der Regel alleinreisende junge Männer aus dem Balkan, überdurchschnittlich häufig aus dem Kosovo, aus Georgien und Nord- und Zentralafrika.

Einige Täter geben sich perfiderweise als Syrer aus, werden aber bei der Vernehmung schnell entlarvt.

Hier bedarf es des konsequenten Handelns von Polizei und Justiz, damit Täter aus den Reihen der Asylbewerber schnell identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden können, damit nicht die breite Mehrheit der Zugewanderten in Misskredit gebracht werden kann, was wieder Wasser auf die Mühlen verblendeter rechter Zeitgenossen wäre.“

Die Bekämpfung der Fluchtursachen: „Derzeit sieht Europa staunend, hilf- und tatenlos zu, wie die USA, syrische, irakische und türkische Regierungstruppen sowie Kurdenorganisationen (die bei uns als Terroristen eingestuft sind) gegen den IS kämpfen, geben gute Ratschläge und jammern über die hohe Zahl der Kriegsflüchtlinge. Ein Plan sieht anders aus.

Dies macht aber auch deutlich, dass Deutschland die bestehenden Herausforderungen nicht allein meistern kann. Europas Politiker müssen jetzt sehr schnell Verantwortung übernehmen und beweisen, dass Europa mehr ist als nur eine schöne Vision.“

Timo Lokoschat

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