Ein impotenter Staat?

14 Jahre lang hat ein rechtsradikales Terror-Trio gemordet und geraubt, von Ermittlern unbehelligt. Eine Bilanz – ein Jahr nach ihrem Auffliegen
von  Matthias Maus
Die Mordopfer oben von links: Abdurrahim Ozudogru (Nürnberg) Mehmet Kubasik (Dortmund), Enver Simsek (Nürnberg), Mehmet Turgut, Süleyman Taskopru (Hamburg). Unten: Theodorus Boulgaridis (München), Halit Yozgat (Kassel), Ismail Yasar (Nürnberg), Habil Kilic (München) und die Heilbronner Polizistin Michele Kiesewetter.
Die Mordopfer oben von links: Abdurrahim Ozudogru (Nürnberg) Mehmet Kubasik (Dortmund), Enver Simsek (Nürnberg), Mehmet Turgut, Süleyman Taskopru (Hamburg). Unten: Theodorus Boulgaridis (München), Halit Yozgat (Kassel), Ismail Yasar (Nürnberg), Habil Kilic (München) und die Heilbronner Polizistin Michele Kiesewetter. © dapd

14 Jahre lang hat ein rechtsradikales Terror-Trio gemordet und geraubt, von Ermittlern unbehelligt. Eine Bilanz – ein Jahr nach ihrem Auffliegen.

München - Es waren unwirkliche Bilder. Aus dem Dach eines Wohnmobils züngelten Flämmchen. Drinnen lagen zwei Leichen. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, zwei Bankräuber, die sich vor dem Zugriff der Polizei erschossen hatten. Was auf die Bilder aus Eisenach vom 4. November 2011 folgte, ist noch viel unwirklicher. Einer der größten Sicherheitsskandale der Bundesrepublik, und er ist noch lange nicht aufgeklärt.

14 Jahre lang, das stellte sich schnell heraus, waren die beiden einschlägig bekannten Rechtsradikalen mordend und raubend durch die Republik gestreift, 14 Jahre lebten sie im Untergrund. Unbehelligt von Sicherheitsbehörden. Zusammen mit ihrer Partnerin Beate Zschäpe nannte sich das Trio seit 2001 „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Da hatten sie bereits ihre ersten beiden Morde verübt. Am 9. September 2000 erschossen sie in Nürnberg den Gemüsehändler Enver Simsek. Zwei Monate danach verübten sie ihren dritten Banküberfall Schon 1999 hatten sie zusammen 35000 Euro erbeutet. Das Geld verwaltete Beate Zschäpe, sagen die Ermittler.

In Köln und Hamburg, in Rostock und Dortmund mordete das Trio zwischen 2000 und 2007, und fünf Mal in Bayern. Das letzte Opfer: die Polizisten Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Beate Zschäpe war wohl nie am Tatort. Was wusste sie? Die Staatsanwaltschaft schließt in diesen Tagen die Anklage gegen die 37-Jährige ab. „Ich bin die, nach der Sie suchen“, hatte sie am 8. November 2011 gesagt. Da hatte sie sich in Jena gestellt, vier Tage nach dem Tod ihrer Kumpane und Bettgesellen. Vorher hatte sie noch die makabren „Paulchen-Panther-Videos“ verschickt, auf denen sich die NSU ihrer Morde rühmt. Seither schweigt die Frau, die so viele Fragen beantworten könnte. Sie, die so lieb zu Katzen war, die ihre Wohnung in Zwickau in die Luft sprengte, sitzt im Kölner Untersuchungsgefängnis.

Zu den Opfern gehören ein Nürnberger Schneider, ein Gemüsehändler in Hamburg, ein Schlüsseldienst-Mitarbeiter und noch ein Gemüsehändler in München, ein Imbissverkäufer in Rostock, noch ein Imbiss-Besitzer in Nürnberg, ein Kiosk-Besitzer in Dortmund und ein Mann, der im Internet-Café in Kassel arbeitete. Ein V-Mann des Verfassungsschutzes saß zur Tatzeit im Café. Er will aber nichts mitbekommen haben.

So wie die Polizei und die Verfassungsschützer in allen betroffenen Bundesländern auch nicht. Die Angehörigen wurden verdächtigt, die Opfer. Von Mafia-Verbindungen, organisierter Kriminalität, Hisbollah und anderen Verstrickungen wurde gefaselt, nur einen rechtsradikalen Hintergrund mochte kein Ermittler erkennen. Vier Untersuchungsausschüsse versuchen die Hintergründe in der beispiellosen Mordserie zu beleuchten. Kein Zeuge will schuld sein.

„Konnten nichts ahnen“, „keine Anhaltspunkte“ sind häufige Aussagen. Immer wieder kommen neue Facetten des Skandals ans Licht. Noch nach dem Auffliegen des Trios wurden Akten über Neonazis vernichtet. Im bayerischen Landtag kam auf, dass der Verfassungsschutz einen Neo-Nazi als V-Mann geführt hat, der Böhnhardt und Mundlos beim Aufbau einer Neonazi-Zelle in Thüringen half.

Ist es nur „ein impotenter Staat“, oder ein „multiples Staatsversagen“, wie die taz fragt? Die Grünen fordern seit Bekanntwerden der Affäre die Auflösung „und Neugründung“ des Verfassungsschutzes. Infrage steht auch, ob alle 16 Bundesländer einen eigenen Verfassungsschutz brauchen.

Das Versagen hat nach Auffassung der Ombudsfrau für die Opferangehörigen, Barbara John, das Misstrauen der Einwanderer verstärkt. Nach den Enthüllungen dächten viele: „Wir sind den Behörden weniger wichtig als die Mehrheitsbevölkerung.“ Bundesinnenminister Friedrich verspricht weiterhin lückenlose Aufklärung. Zudem müsse „die Widerstandsfähigkeit unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gegen Extremismus und Gewalt“ gestärkt werden, sagte er.


"Es hat eindeutig Fehler gegeben"

Ex-Innenminister Beckstein nimmt aber die Ermittler in Schutz

AZ: Herr Beckstein, vor einem Jahr flog die rechtsextreme Terrorzelle NSU auf. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie daran denken?

GÜNTHER BECKSTEIN: Ich habe da sehr ambivalente Gefühle. Auf der einen Seite ist es furchtbar, dass die schlimmsten Befürchtungen übertroffen worden sind. Niemand hat damit gerechnet, dass es eine braune Terrorzelle gibt in etwa derselben Dimension, wie es die Rote Armee Fraktion war. Auf der anderen Seite: Gottseidank wurde dem Treiben ein Ende gesetzt.

Sie hatten schon damals so ein Gefühl, dass es sich bei den zehn Morden um einen rechtsradikalen Hintergrund handeln könnte. Zweimal haben Sie per Aktenvermerk nachgefragt. Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?

Ja. Ich habe ja sogar einmal von einer Braunen Armee Fraktion geredet. Aber dann haben mich alle Fachleute – nicht nur in Bayern, sondern bundesweit – ermahnt, es gebe keine entsprechenden Strukturen. Heute muss ich sagen, dass jemand, der so lange in dem Geschäft war wie ich, ein Gespür hatte, das sich im Nachhinein leider bewahrheitet hat.

Im Untersuchungsausschuss in Bayern kam Unglaubliches zu Tage. Der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident konnte sich nicht mal mehr an einen V-Mann in der rechten Szene erinnern und bestritt sogar, dass es einen gegeben habe. Schockiert Sie das?

Es hat eindeutig Fehler gegeben im Zusammenhang mit dem Untertauchen der Terrorzelle. Auch dass man die Ermittlungen hat einfach versickern lassen. Das Schwierige bei der polizeilichen Ermittlung war, dass die Täter keine Spuren hinterlassen haben. Mit Ausnahme der Geschosse in den Körpern der Ermordeten. Es waren keine Hülsen da. Es gab keine Fußabdrücke. Keine DNA-Spuren. Sie haben nicht mit ihren Handys in der Gegend ihrer Morde telefoniert. Sie haben nicht getankt. Sie haben sorgfältig jede Spur vermieden.

Gibt es also doch den perfekten Mord?

Nein, ich bin überzeugt, dass sie Fehler gemacht haben müssen. Denn die perfekte Straftat gibt es nicht. Deshalb ist es notwendig, die Sache weiter zu erforschen.

Man hat aber auch den Eindruck, Bayerns Verfassungsschützer haben die Rechtsextremisten eher als Spinner abgetan, die man nicht so ernst nehmen muss.

Das ist nicht richtig. Wir haben die rechtsextreme Gruppe um Martin Wiese, die den Sprengstoff-Anschlag auf die Grundsteinlegung der Münchner Synagoge geplant hatte, auffliegen lassen. Und zwar mit intensivsten Ermittlungen von Polizei und Verfassungsschutz. Das war ein großer Erfolg. Umso mehr bedauere ich, dass im Zusammenhang mit der NSU der Verfassungsschutz gemeldet hat, dass es keine Hinweise bei den Morden auf einen rechtsextremen Hintergrund gibt. Das deutet für mich darauf hin, dass eben keine V-Männer im engsten Bereich der NSU positioniert waren.

Die V-Männer in der rechten Szene waren offenbar nicht der große Hit.

In der Tat haben sie bei der NSU nichts gebracht. Aber wenn in einem Bereich ein System nicht erfolgreich war, kann man nicht automatisch sagen, dass es nicht funktioniert. Beim Anschlag auf die Synagoge in München waren die V-Leute der entscheidende Schlüssel, um ihn zu verhindern.

Welche Lehren müssen die Behörden aus dem Fall NSU ziehen?

Es muss die Zusammenarbeit zwischen den Behörden verstärkt werden. Wir haben bisher Hemmungen in der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz. Es muss aber zur Informations-Verpflichtung gehören, dass die Landesämter für Verfassungsschutz das Bundesamt informieren. Da muss noch eine Menge getan werden.

Und welche Lehre muss unsere Gesellschaft ziehen?

Gerade in einem Land, in dem Hitler sein Unwesen getrieben hat, sind noch Leute da, die das Morden als nationale Tat ansehen. Das konnte man sich als vernünftiger Mensch gar nicht vorstellen.Umso mehr müssen wir wachsam sein gegen alle Formen des Rechtsextremismus. Wir müssen aber auch wachsam sein gegen alle anderen Formen von extremistischer Gewaltbereitschaft. Nur Wachsamkeit ist der Preis für die Freiheit.

Interview: Angela Böhm


Ein Ort zum Gedenken

In Kassel, Heilbronn, Dortmund und bald auch Hamburg gibt es sie schon: die Gedenktafeln für die Opfer des Terror-Trios, auf die sich alle sieben Städte mit NSU-Tatorten Anfang 2012 geeinigt haben. In München und Nürnberg jedoch scheinen die Pläne ins Stocken geraten zu sein.

In der Landeshauptstadt befasst sich seit Monaten die Gedenktafel-Kommission damit. Sobald es einen konkreten Vorschlag gibt, soll sich der Ältestenrat mit den Plänen auseinandersetzen. Anders in Nürnberg: Dort liegen konkrete Pläne auf Eis. Eine der drei Opferfamilien empfindet den vorgeschlagenen Standort als zu abgelegen.

„Wichtig sind zwei Kriterien“, mahnt die Opferbeauftragte der Bundesregierung, Barbara John. „Zum einen soll der Standpunkt zentral sein. An einem Ort, wo die Menschen die Tafel sehen. Entscheidend aber ist, dass die Angehörigen der Opfer zufrieden sind.“ va



 

 

 

 

 

 

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