Ein Deutscher in Afghanistan: „Das hier ist kein Freizeitpark“

Der Soldat Christian L. (41) hat schon drei Anschläge erlebt. In einem Interview mit der AZ spricht er über seine Gefühle
AZ: Sie kommen gerade von einem Außeneinsatz – was haben sie heute gemacht?
CHRISTIAN L.: Wir waren gerade in zwei Dörfern, in einem Ort haben wir Kontakt mit dem Dorfältesten aufgenommen, weil dieser Ort Hilfe für den Straßenbau bekommt.
Wie sicher sind solche Einsätze?
Als ich jetzt wieder nach Afghanistan kam, war das ein komisches Gefühl, durch Kundus zu fahren. Es gab kein freundliches Winken mehr von der Bevölkerung – das war bei meinen letzten beiden Einsätzen noch anders. Aber das kann man erklären: Wir sind ein Anschlagsziel – und auf zivile Opfer nehmen Attentäter keine Rücksicht. Da möchte man nicht in der Nähe sein. Raketenangriffe, Selbstmordattentate, Angriffe aus dem Hinterhalt passieren regelmäßig und sind für uns normal. Das weiß jeder, der hierher kommt. Das hier ist kein Freizeitpark. Wenn jemand nur wegen des Geldes kommen will, dann soll er zu Hause bleiben.
Was haben Sie selbst erlebt?
Am 16. Dezember gab es hier den letzten Anschlag – der hat mich selbst betroffen. Wir sind in eine Sprengfalle reingefahren. Wir fuhren in einen kleinen Ort, es war kein Mensch mehr auf der Straße, überall flogen die Türen zu. Das ist nicht normal. Ich habe den Truppführer noch angewiesen, Gehörschutz reinzunehmen und die Schutzbrille aufzusetzen. 10 Sekunden später ging die Bombe hoch. Sie brauchen Erfahrung um das zu sehen – das war der dritte Anschlag, den ich erlebt habe.
Was für Folgen hatte der Anschlag?
Wir haben nur einen gehörigen Schrecken bekommen. Außerdem gab es Schäden am Fahrzeug. Bei vielen Anschlägen erleidet man auch ein Knall- und Schleudertrauma.
Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, dass es ein schwarzes Buch gibt, in dem steht, wann Anfang und Ende ist - alles zwischendrin ist individuell gestaltbar.
Haben Sie Angst?
Wenn ich in bestimmte Gegenden rausfahre und genau weiß, hier knallt es öfter, dann habe ich ein mulmiges Gefühl, dann bin ich noch konzentrierter – das ist eine extreme Anspannung. Wenn ich abends wieder reinkomme, dann Freude ich mich richtig darauf, mit vier Mann auf einer Bude zu liegen, mit zwölf Mann zu duschen und mit sechs Mann auf dem Klo zu sitzen.
Wie viel weiß ihre Familie von den Gefahren?
Denen werde ich das mit Sicherheit nicht so klar sagen, wie ich das jetzt hier tue. Nach dem letzten Anschlag war das ein Problem. Viele hatten zu Hause angerufen und erzählt, dass uns die Anschläge nicht beträfen – damit die sich keine Sorge machen. Nach dem Anschlag stand ein Fernsehteam auf dem Parkplatz und hat uns abgefilmt. Dann mussten wir zu Hause anrufen und beichten, dass wir doch ein bisschen näher an der Gefahr dran sind. Meine Frau hat das relativ gefasst aufgenommen, weil sie weiß, was hier los ist. Ein Kamerad musste aber etwas länger mit seiner Frau sprechen.
Kürzlich lief in der ARD ein Film über die psychischen Folgen von Anschlägen. Haben Sie den gesehen?
Ja, den kann hier jeder gucken. Das was ziemlich realistisch. Meine Frau hat geweint, als sie ihn zu Hause gesehen hat. Es dauert lange, bis Sie so etwas verarbeiten. Das äußert sich bei jedem etwas anders. Sie haben nachts Albträume, wachen schweißgebadet auf, dann haben sie wieder drei Monate Ruhe. Man muss darüber offen sprechen. Wenn sie das in sich rein fressen, dann kommen Sie damit nicht klar.
Haben Sie den Eindruck, dass die Bevölkerung genug weiß über die Einsatzrealität in Afghanistan?
Wenn ich an den Tsunami denke, bei dem die deutsche Bevölkerung 500 Millionen Euro gespendet hat, und ich sehe, wie viele Spenden für Afghanistan zusammenkommen, dann sagt mir das nur eins: Dass die Bevölkerung überhaupt nicht weiß, was hier los ist. Die meisten wissen ja nicht mal, was für ein Wetter hier ist. Interview: Daniel Kummetz