Ein Denkmal bröckelt
MÜNCHEN - Heinrich von Pierer steht im Zentrum der Siemens-Affäre. Hat er Schmiergeld-Zahlungen angeordnet? Jetzt droht dem Ex-Boss ein Verfahren.
Jetzt ist doch eingetreten, was er immer verhindern wollte. Am Montag trifft Heinrich von Pierer die Staatsanwälte der Münchner Anklagebehörde. Ein Mann, der als Bundespräsident ins Schloss Bellevue hätte einziehen können – zu Besuch bei der Staatsanwaltschaft. Das Treffen findet auf seinen Wunsch statt.
Zu groß ist der Druck auf den langjährigen Siemens-Chef geworden. Der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichten, der ehemalige Vorzeige-Manager soll lange vor Bekanntwerden der Korruptionsaffäre bei Siemens von den schwarzen Kassen gewusst haben. Mehr noch: Der 67-Jährige soll Mitarbeiter sogar zur Bestechung aufgefordert haben. Siemens hat bislang dubiose Zahlungen in Höhe von gigantischen 1,3 Milliarden Euro eingeräumt. Von Pierer behauptet immer noch, von all dem nichts gewusst zu haben.
Abrechnen mit dem alten Vorstand
Doch seine Erben, Konzernchef Peter Löscher und Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, haben erkannt: Wenn sie die Krise bei Siemens lösen wollen, müssen sie mit dem alten Vorstand abrechnen. Nur so können sie die strengen Börsenaufseher davon abhalten, verheerende Milliarden-Strafen zu verhängen. Laut „SZ“ ermittelt die Staatsanwaltschaft derzeit schon gegen 270 Beschuldigte. Und dann ist auch noch herausgekommen, dass eine Berliner Detektei im Auftrag von Siemens 2003 die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) bespitzelt haben soll. Im Ziel der Schnüffler: Leo Mayer, damals Vize-Betriebsratschef der Festnetzsparte. Auch die Bespitzelung fiel in die Amtszeit von Pierers.
Deshalb hat die neue Führungsriege eine amerikanische Anwaltskanzlei engagiert, die den Konzern, aber vor allem auch den Ex-Vorstand, durchleuchtet. Dienstag in einer Woche sollen die internen Ermittler die Ergebnisse präsentieren.
Bislang ist die Staatsanwaltschaft in Sachen von Pierer nicht aktiv geworden. Sicherlich auch, weil das Ansehen des Wirtschafts- und Politikpromis nicht beschädigt werden sollte. Hinzu kam: Bis 1999 war Auslands-Bestechung nicht strafbar, man konnte die „Provisionen“, etwa für ausländische Regierungsvertreter, von der Steuer absetzen. Bislang gab es keine Hinweise auf eine Verstrickung von Pierers.
"Soldaten von Siemens"
Doch in der vergangenen Woche sagte ein Siemens-Manager bei der Staatsanwaltschaft aus: Von Pierer habe ihn 2002 oder 2003 dazu aufgefordert, zehn Millionen Dollar Schmiergeld für ein Projekt in Argentinien zu zahlen. Weil der Mann Skrupel hatte, soll von Pierer ihm und einen Kollegen gesagt haben, sie sollten sich wie „Soldaten von Siemens“ verhalten. „Diese Vorwürfe sind falsch“, sagte von Pierer der „Welt am Sonntag“. Auch den Soldaten-Ausspruch habe er nie benutzt: „Das ist auch nicht meine Terminologie.“ Dennoch suchte er schleunigst den Kontakt der Münchner Staatsanwälte – die Ermittlungen jetzt nicht mehr ausschließen wollen. Käme es zu einem Verfahren, wäre Heinrich von Pierer Beschuldigter. Ein Verfahren mit möglichen Zeugenvernehmungen und Hausdurchsuchungen wäre die endgültige Demontage des Wirtschafts-Denkmals.
Belastende interne Vermerke
Wusste Heinrich von Pierer von dem ausgeklügelten System der schwarzen Kassen – oder war er tatsächlich so ahnungslos, wie er behauptet? Sein ehemaliger Assistent gab den Ermittlern Auskunft über die Schmiergeldpraxis in der Kraftwerkssparte. 19-mal nennt er den Namen seines Ex-Bosses, die Vorgehensweise sei „ausdrücklich mit dem Führungsgremium abgestimmt“ worden. Auch interne Vermerke über Schmiergeld sind aufgetaucht. Von Pierer hatte die Akten „zur Kenntnis“ bekommen, so der „Spiegel“.
Dass die neue Siemens-Führung sich den Alt-Vorstand vorknöpfen will, hat auch einen finanziellen Grund: Konzernchef Löscher will Schadenersatz von bis zu zehn ehemaligen Vorständen inklusive von Pierer fordern. Der Vorwurf: Entweder sind die Manager selbst Teil des Korruptionssystems gewesen, oder sie haben ihre Aufsichtspflicht verletzt.
Auch der politische Einfluss des Ex-Siemens-Chefs schwindet: Hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihn sogar mal für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt, so schmeißt sie ihn jetzt aus ihrem Innovationsrat.
Vom eigenen Buch eingeholt?
Fast genau vor einem Jahr trat Heinrich von Pierer als Aufsichtsratschef zurück. An die Siemensianer schrieb er: „Eine persönliche Verantwortlichkeit mit Blick auf die laufenden Ermittlungen war nicht Grundlage meiner Entscheidung.“ Daran glaubt er wohl heute noch. Er selbst hat mal ein Buch geschrieben mit dem Titel „Zwischen Profit und Moral“. Dort heißt es: „Täuschung, Betrug und Korruption lassen sich auf Dauer nicht verbergen.“
Von Volker ter Haseborg
- Themen:
- Peter Löscher
- Siemens AG