Ein Besuch auf einer Palliativstation

Zum 1. Januar tritt das Hospiz- und Palliativgesetz in Kraft, das die Betreuung Todkranker verbessern soll.  Vor allem Personal ist wichtig
von  Verena Lehner / Lokales

Die Praxis zeigt: Am wichtigsten für die Versorgung Sterbender ist gutes Personal – ein Besuch auf einer Palliativstation

Über Weihnachten sollten Sie zu Hause sein“, sagt Georg Maschmeyer der an einer Knochenmarkerkrankung leidenden Patientin, Mitte 70. „Und dann fangen wir im Januar wieder an.“ Und er fügt beruhigend hinzu: „Wenn’s schlechter wird, können Sie sich ja hier wieder melden.“ Maschmeyer ist Leiter der Palliativstation am Ernst-von-Bergmann-Klinikum in Potsdam, einer Station, auf der schwer kranke Menschen betreut werden. Palliativmedizin wird heute als sektorenübergreifender Wissenschafts- und Leistungsbereich verstanden. Der Krebsspezialist Maschmeyer ist entsprechend Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin.

Trotz großer Schmerzen wollen manche keine Palliativbehandlung

Maschmeyer scherzt mit einer Patientin: „Sie haben die Haare schön.“ Über das blasse, schmale Gesicht der mehrfach an Krebs erkrankten 75-Jährigen huscht ein Lächeln: „Ja, ich war gerade beim Friseur.“ Und ja, sie werde gut betreut. Wenn nur das Wasser in den Knien nicht wäre. Sie hebt die Decke. Maschmeyer kontrolliert die Knie und sagt: „Ich glaub’ schon, dass wir das hinkriegen.“ Nach den schweren Belastungen einer Krebsbehandlung mit zum Teil mehreren Operationen können die Patienten auf der Palliativ-Station wieder zur Ruhe kommen. Die Schmerzbehandlung entlastet den geplagten Körper. Obwohl der Palliativmediziner die Chancen für aussichtslos und die Qualen für massiv hält, versuchen die Angehörigen manchmal trotzdem alles, um die Krebstherapie fortzusetzen. Ihre Verzweiflung richtet sich in solchen Momenten auch gegen den Arzt. „Da braucht man viel Geduld“, sagt Maschmeyer. „Das Ende des Lebens können Sie nicht planen. Sie wissen nicht, wie es Ihnen geht. Es gibt Fälle, da ist die Unterschrift unter der Patientenverfügung noch nicht trocken, da wollen sie es schon anders haben“, erzählt der erfahrene Krebsarzt. Manchmal sei geradezu eine 180-Grad-Kehrtwende zu beobachten. Eine Patientenverfügung ist zwar in Ordnung, aber eigentlich nicht nötig. Es gelte zu erkennen, was der Patient will – „hier und jetzt“.

Die Hälfte der Familien kann zu Hause keinen Sterbenden pflegen

Die Familie muss immer mit einbezogen werden. Zur Palliativversorgung gehört, Familienangehörige von Sterbenden zu betreuen und zu beraten. Wenn Angehörige wollen, können sie im Patientenzimmer mit einziehen. Maschmeyer schätzt, dass 50 Prozent der Familien ihre sterbenden Angehörigen nicht zu Hause pflegen können. Sei es, weil sie alleinstehend sind, berufstätig, Kinder zu versorgen haben oder weil die Familie einfach seit vielen Jahren zerstritten ist. Maschmeyer ist bei einer 84-jährigen Krebspatientin.

Er scherzt mit der Frau, sagt aber auch: „Das können wir nicht heilen. Wir versuchen das Fortschreiten zu behindern, aber nicht, den Tumor zu bekämpfen.“ Die Patientin ist gefasst. Sie soll ins Hospiz. „Die machen da ganz viel mit Ihnen“, sagt Maschmeyer. „Dann werden Sie irgendwann mal nicht mehr aufwachen.“ Die Patientin weint. „Irgendwann muss es sein“, sagt Maschmeyer. Vor der Tür sagt Maschmeyer auf die Frage, wie es ihm nach so einem Gespräch gehe, ohne zu zögern: „Gut.“ Es sei „glasklar, dass sie keine Chance hat. Sie trauert. Das will keiner: sterben. Ich halte es für richtig, mit Patienten realistisch zu besprechen, wie es ist.“

In seinen 34 Berufsjahren sei er noch in keinem Fall gebeten worden, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, sagt der Chefarzt. Hinter dem Wunsch zu sterben, stecke in aller Regel der Wunsch, unter diesen Bedingungen nicht mehr leben zu wollen. Mehr als 90 Prozent dieser Fälle könne man heute auffangen. Das Wichtigste ist jedoch, – darin sind sich Palliativmediziner einig – dass, wenn der Tod kommt, der Sterbende Fürsorge braucht. Und Fürsorge braucht Zeit – und viel fürsorgliches Pflegepersonal.

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