„Ein Azubi statt einer Schlafpille“

Um dreiviertel Sieben ruft Seehofer seinen neuen Wirtschaftsminister an. Der stürzt sich scheinbar selbstlos in seine neue Aufgabe. Doch das politische Berlin argwöhnt: Hat Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Einsatz an Bedingungen geknüpft?
von  Abendzeitung
Horst Seehofer und sein Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg
Horst Seehofer und sein Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg © dpa

MÜNCHEN - Um dreiviertel Sieben ruft Seehofer seinen neuen Wirtschaftsminister an. Der stürzt sich scheinbar selbstlos in seine neue Aufgabe. Doch das politische Berlin argwöhnt: Hat Karl-Theodor zu Guttenberg seinen Einsatz an Bedingungen geknüpft?

Die CSU-Spitze kommt zu Fuß. Horst Seehofer und Karl-Theodor zu Guttenberg sparen sich die Limousinen-Anfahrt, forschen Schrittes marschieren sie durch die Menge vor der Hanns-Seidel-Stiftung. „Herr Minister, Herr Minister“, rufen die Fotografen. Guttenberg wehrt ab: „Noch bin ich’s nicht!“ Früh um dreiviertel sieben, der Noch-General saß im Auto nach München, hatte Seehofer angerufen und es offiziell gemacht: „Du wirst es.“ „Zuerst hab ich mal durchgeschnauft“, sagt der frisch Gekürte: „Das ist eine großartige Aufgabe. Aber auch eine große Aufgabe.“

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Das politische Berlin zerreißt sich das Maul über das groteske Schauspiel: Ein Bundesminister bettelt um seine Entlassung, die zuständige Kanzlerin schweigt, und der CSU-Chef verbietet dem Minister den Rücktritt, um – mitten in der Wirtschaftskrise – einen Außenexperten zu Deutschlands Chef-Ökonomen zu machen. Die Kanzlerin lässt mitteilen, sie freue sich auf die Zusammenarbeit mit Guttenberg. Gleichzeitig tritt sie mit SPD-Minister Steinbrück auf, erläutert Strategien gegen die Finanzkrise. Die Botschaft ist klar: Hier spielt die Musik, nicht bei der Chaos-CSU. SPD-Chef Müntefering fährt schweres Geschütz auf: Die CSU lege das „undemokratische Verhalten eines Zentralkomitees“ an den Tag. Guttenberg sei „Minister auf Abruf“, spottet die FDP. Jetzt sei ein „Azubi statt einer Schlafpille“ Wirtschaftsminister, lästern die Grünen: „Eine Regionalpartei blockiert das Land, und Bundeskanzlerin Angela Merkel schaut tatenlos zu.“

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Elf Uhr vormittags in München. Seehofer singt das Loblied auf Karl-Theodor zu Guttenberg. „Er ist jung, ja, aber er hat große wirtschaftspolitische Kompetenz.“ Guttenberg referiert selbstbewusst und eloquent seinen Lebenslauf: „Ich habe lange Jahre meinen oberfränkischen Familienbetrieb geführt, ich war Geschäftsführender Gesellschafter der Guttenberg GmbH und ich saß im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG.“ Trotzdem: ein Außenpolitiker im Wirtschaftsressort? Seehofer: „Einen Namen macht man sich nicht in der Politik, sondern in der Praxis.“

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Seit dem Rückzug von Friedrich Merz 2004 klafft in der Union eine Kompetenzlücke in Wirtschaftspolitik. Konservative werfen Merkel vor, die Union zu sozialdemokratisieren. Glos galt in Berlin als einer der letzten Mohikaner, die in der Union für soziale Marktwirtschaft kämpften – jetzt muss er einem 37-jährigen Außenpolitiker weichen.

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Horst Seehofer sind die Strapazen des Wochenendes anzusehen. Bis nachts um drei soll er am Samstag herumtelefoniert haben. Aber typisch Seehofer wischt er Meldungen über die desolate Lage seiner Partei einfach weg. Guttenberg soll Bedingungen gestellt haben? „Da habe ich beim Morgenkaffee herzlich gelacht“, sagt Seehofer. Guttenberg reagiert entrüstet: „Wenn einem ein solches Amt angeboten wird, dann stellt man keine Bedingungen, um Himmels Willen.“

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Guttenbergs unschuldigem Konfirmandengesicht zum Trotz halten sich in Berlin Gerüchte, wonach Seehofer zugesagt hat, ihn nach der Wahl zum CSU-Landesgruppenchef zu machen – falls das Wirtschaftsressort an die FDP fällt.

Markus Jox, Annette Zoch

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