Ein asiatischer Albtraum

Mindestens 20000 Tote im Südwesten Chinas: Allein 18000 Verschüttete in einer Stadt. Als Folge der Beben kam es zu schweren Unfällen in einigen Chemiefirmen. Peking heißt ausländische Hilfe ausdrücklich willkommen. Die Gefahr bleibt: Mehr als 1950 Nachbeben, teilweise bis zur Stärke 6,0 zählten die Seismologen nach dem schwersten Stoß am Montag.
Von Johannes Lieberer
Ein paar Sekunden. Sie haben das Leben von Shi Huiagui völlig verändert: „Ich spürte, wie sich der Boden unter mir bewegte, sagt der 58-jährige: „Ich habe sofort gewusst, was los ist.“ Wie 60000 andere lebte er in der Kleinstadt Dujiangyen. Sie lag im Zentrum des chinesischen Killerbebens, sie ist fast völlig zerstört. Mindestens 20000 Tote, schätzt die Regierung in Peking, fielen dem Beben im Südwesten Chinas zum Opfer. In der Stadt Mianyang sind 18000 Menschen verschüttet.
Von dem Haus, in dem Shi Huiagui mit seiner Frau lebte, gibt es nur noch Trümmer: Irgendwo in dem Haufen ist sie – verschüttet, vermutlich tot. Der Rentner ist verzweifelt. Er hat die Nacht im Freien verbracht, wie die anderen, die das bloße Leben gerettet haben. Es regnet, es ist kalt. Ein Mann macht seinem Ärger Luft: „Wir haben nichts mehr, es gibt nichts zu essen, keine Unterkünfte, niemand kümmert sich um uns“.
Jede Sekunde zählt
Das hören die Autoritäten nicht gerne. Die Regierung in Peking hat einen Krisenstab eingesetzt, Zehntausende Soldaten und schweres Gerät in die gebirgige Region geschickt. Die Behörden wollen den Eindruck vermitteln, der Staat habe alles unter Kontrolle. „Jede Sekunde zählt,“ sagte Regierungschef Wen. Zugleich zeigte sich die Regierung offen für Hilfsangebote aus dem Ausland. Ein Problem ist der Transport. Durch die Erdstöße sind zahlreiche Straßen und Bahnlinien unterbrochen. Schwere Räumfahrzeuge kommen oft nicht dahin, wo sie gebraucht werden.
Um das Erdbebengebiet liegen große Städte und Industrieansiedlungen. Am gestrigen Börsenhandelstag wurden die Notierungen von 66 chinesischen Unternehmen ausgesetzt, weil die Börsianer zunächst keinen Kontakt mit den Firmen herstellen konnten. In einem Chemiewerk liefen 80 Tonnen Ammoniak aus. In der Nähe starben allein 600 Menschen. Es wurde nicht klar, ob die Opfer direkt mit dem Chemie-Unfall zusammenhängen.
Nur noch selten Überlebende. 60 Leichen in Dujiangyen
Aus der Schule in Dujiangyen, unter der 900 Schüler verschüttet waren, wurden mittlerweile 60 Leichen geborgen. Inzwischen wurden ähnliche Tragödien von anderen Schulen in der Region bekannt, wo ebenfalls mehrere hunderte Jugendliche verschüttet sind.
Bei den Rettungsarbeiten finden die Helfer nur noch selten Überlebende. Aber auch die Geretteten sind ständig auf der Hut. Mehr als 1950 Nachbeben, teilweise bis zur Stärke 6,0 zählten die Seismologen nach dem schwersten Stoß am Montag. „Diese Nachbeben sind gefährlich, weil beschädigte Konstruktionen jetzt einstürzen könnten“, sagt ein Experte.
Der Flughafen der Zehn-Millionen-Stadt Cherngdu ist für normalen Verkehr gesperrt. Die Nationale China Eastern Airline stellte vier Maschinen für den Transport von Hilfsgütern und Helfern ab. Das nationale Rote Kreuz bat um Blutspenden. Mehrere Zehntausend Menschen sind verletzt. Die Zentralregierung stellte umgerechnet 33,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Keine deutschen Vermissten
Während des Bebens waren auch deutsche Urlauber in der Provinz Sichuan. Die Kunden der Veranstalter Gebeco, Studiosus und China Tours sind wohlauf, sagte ein Sprecher. Mit Studiosus waren etwa 25 Gruppenreisende im Raum Chengdu unterwegs. „Sie machten einen Ausflug mit dem Bus und haben wegen der schlechten Straßenverhältnisse das Beben erst gar nicht richtig bemerkt“, sagte Edwin Doldi, der Sicherheitsmanager des Unternehmens in München. Auch einige Individualreisende hatten Glück. Nach Angaben des zuständigen Konsulats gab es keine deutschen Vermissten.
Keine Nachricht gibt es bislang von einer britischen Reisegruppe, die in der Region Wenchuan die berühmten Pandabären sehen wollte. Die Region in den Bergen ist völlig von der Außenwelt abgeschnitten.
Die Behörden bemühen sich, Befürchtungen wegen der Olympischen Spiele im August zu zerstreuen. Alle Sportstätten hätten die auch in Peking spürbaren Beben unbeschädigt überstanden, sagte Zhang Sian vom Organisationskomitee: „Die Spiele sind sicher, Peking ist sicher, und China ist es auch.“