Eichel, Schily, Merz: Bye, bye Bundestag!
BERLIN - Über 100 Parlamentarier nehmen für immer Abschied vom Hohen Haus – darunter altgediente Minister der rot-grünen Regierung Schröder, ein Verschmähter – und die letzten Kohlianer
Sie haben gefeixt, gestritten, dazwischengerufen, gerungen, gelacht, genascht, gequasselt, geredet – und ganz oft abgestimmt. Die Abgeordneten des 16.Deutschen Bundestag, die am Freitag offiziell ihren letzten Sitzungstag hatten, verabschiedeten seit Oktober 2005 immerhin 582 Gesetze, stellten 3169 kleine und 63 große Anfragen sowie 1819 Gesetzgebungsanträge. Ordnungsrufe und Rügen gab es dagegen nur 22.
Auch wenn die Gesetzgebungsmaschinerie Bundestag am Freitag nochmals mächtig ratterte (siehe unten) und die Abgeordneten noch zu zwei kurzen Sondersitzungen in der Sommerpause zusammenkommen werden, war die Stimmung im Plenum auch von Rührseligkeit und Wehmut geprägt. Nachdem Altvordere wie der damalige CSU-Chef und Berlin-Flüchtling Edmund Stoiber, sein Innenminister Günther Beckstein und SPD-Altkanzler Gerhard Schröder direkt nach der Wahl 2005 ihre Mandate zurückgegeben hatten, verlassen zum Ende dieser Legislaturperiode über 100 der derzeit 612 Abgeordnete für immer das Parlament – darunter viele bekannte Polit-Schlachtrösser.
Vor allem in der SPD-Fraktion steht ein großes Stühlerücken an: Neben dem Vorsitzenden Peter Struck (AZ berichtete), dem wortmächtigen, gerne im roten Pulli auftretenden Kurzzeit-Fraktionschef Ludwig Stiegler und bekannten Gesichtern wie Walter Kolbow und Gert Weißkirchen scheidet das halbe Kabinett von Ex-Kanzler Schröder aus: Ex-Innenminister Otto Schily, der den Bundestag 2005 als Alterspräsident eröffnet hat, verlässt die politische Bühne ebenso wie die früheren Minister Herta Däubler-Gmelin (Justiz), Walter Riester (Arbeit), Renate Schmidt (Familie) Kurt Bodewig (Verkehr) und Hans Eichel. Der frühere Bundesfinanzminister übte in seiner Abschiedsrede im Plenum am Donnerstag eine bemerkenswerte Selbstkritik an der politischen Klasse. Eichel: „Wenn ich hier rausgehe: Was mir am meisten Sorgen macht, ist der unglaubliche Vertrauensverlust, den wir als Politiker in der Bevölkerung erlitten haben. Wir sind ja auch alle dran Schuld.“
Bei der Union stehen 34 Abgänge fest. Der prominenteste bei der CDU ist der von Parteichefin Bundeskanzlerin Angela Merkel verschmähte Ex-Fraktionschef Friedrich Merz, der sich freilich schon länger überwiegend um seine Tätigkeit als Anwalt einer renommierten Wirtschaftskanzlei gekümmert hat. Mit dem Ausscheiden von Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert und dem ehemaligen, von Spöttern „008“ gerufenen Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidbauer neigt sich auch die Ära der Mitstreiter und Weggefährten Helmut Kohls im Parlament langsam dem Ende zu. Schluss machen bei der CDU unter anderem auch der Wirtschafts-Staatssekretär Hartmut Schauerte, der Finanzpolitiker Otto Bernhardt, sein Umwelt-Kollege Klaus Lippold und Gerald Weiß von den Sozialausschüssen. Bei der CSU gehen Langzeit-Mandatsträger wie Eduard Lintner, Maria Eichhorn und Renate Blank in Pension.
Weniger Bewegung gibt’s bei den kleineren Parteien. Bei der FDP wirft Otto Schilys Bruder Konrad Schily nach nur vier Jahren auf der Bundestags-Hinterbank ziemlich frustriert das Handtuch. Bei den Grünen versagte die Basis der früheren Entwicklungs-Staatssekretärin Uschi Eid nach 20 Jahren im Bundestag einen sicheren Listenplatz. Thea Dückert und Irmingard Schewe-Gerigk kandidieren nicht wieder. Und Anna Lührmann (26) die 2002 als jüngste Abgeordnete ins Parlament einzog, zieht mit der Familie nach Afrika. Bei der Linken hören Norman Paech und Hakki Keskin auf. Parteichef Lothar Bisky ist bereits aus dem Bundestag ausgeschieden. Er sitzt jetzt im Europäischen Parlament.jox