Echte Typen, klare Worte: Als Polit-Debatten im TV noch Unterhaltung waren

Wehner, Schmidt, Strauß und Kohl: Als Journalist hat Friedrich Nowottny sie alle fürs Fernsehen interviewt. Ein Gespräch über Unikate in der Politik – und den Nutzen von TV-Debatten.
von  Abendzeitung
Friedrich Nowottny (80) machte "Bericht aus Bonn" zur Institution.
Friedrich Nowottny (80) machte "Bericht aus Bonn" zur Institution. © ARD Degeto

Wehner, Schmidt, Strauß und Kohl: Als Journalisten hat Friedrich Nowottny sie alle fürs Fernsehen interviewt. Ein Gespräch über Unikate in der Politik – und den Nutzen von TV-Debatten.

AZ: Herr Nowottny, die Nation wartet auf das TV-Duell. Kann das spannend werden, wenn vier Moderatoren von vier Sendern zwei Aspiranten befragen?

FRIEDRICH NOWOTTNY: Der Ansatz ist überhaupt nicht spannend. Vier Fragende und zwei Antwortende – wie sollen da Fäden gesponnen werden, wie soll der Eindruck eines Gesprächs zustande kommen? Ich kann mir das nicht vorstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Verständliches und dem Wähler Orientierung Gebendes herauskommt, halte ich für relativ gering. In den Jahren zuvor gab es Sendungen mit je zwei Moderatoren. Das hat gut funktioniert und war ertragreich.

Werden Sie zuschauen?

Natürlich, ich bin ja politisch interessiert und habe mir schon vieles in diesem Wahlkampf angesehen, auch die ,Arena’-Veranstaltungen mit Merkel und Steinmeier. Das war interessant, man konnte sich ein Bild von den Persönlichkeiten machen.

Erwarten Sie sich Hilfe bei Ihrer Wahlentscheidung oder sind Sie schon festgelegt?

Nein, ich bin überhaupt noch nicht entschieden! Mir geht es wie vielen anderen Wählern, die Zahlen schwanken zwischen 40 und 60 Prozent, die noch nicht festgelegt sind. Ich erwarte mir aber keine Erleuchtung vom Fernsehduell.

Welche Bedeutung schreiben Sie der Veranstaltung überhaupt noch zu, wo doch sowieso überall und ständig geredet wird?

Diese Frage rührt an den Kern der ganzen Sache, für die Antwort muss man aber weiter ausholen. Die Idee kam ja aus Amerika. Das berühmte Duell Nixon gegen Kennedy 1960 faszinierte die US-Nation und wurde zur Vorlage für alle späteren Sendungen dieser Art. Damals ging es auch um Äußerlichkeiten. Nixon war nicht besonders gut rasiert, und Kennedy sah einfach besser aus.

Das ist doch das Problem von Politik im TV: Oft ist die Farbe der Krawatte wichtiger als das, was jemand inhaltlich zu bieten hat.

Es gibt eine Untersuchung zur Elefantenrunde, wie damals die Sendung drei Tage vor der Wahl genannt wurde. Danach haben sich tatsächlich nicht wenige erst nach der Sendung entschieden. Das finde ich schon bemerkenswert.

Aber ist es nicht ungerecht, wenn sich einer die Kanzlerkarriere vermasselt, nur weil er einen schlechten Tag oder einen nervösen Magen hat?

Wer in diese Sendung geht, muss ausgeruht, ausgeschlafen und gut vorbereitet sein. Die Kandidaten beraten sich tagelang mit ihren Spin-Doktoren, wie man dort auftritt.

Ist der Begriff Elefantenrunde nicht eigentlich falsch? Die Tiere sind doch klug und gar nicht geschwätzig…

Der Begriff ist nunmal in der Welt und wird inzwischen überwiegend für die Sendung am Wahlabend verwendet. Die ist uns ja von 2005 vor allem deshalb noch in Erinnerung, weil Gerhard Schröder – möglicherweise durch zu viel Wein und in der Hoffnung auf Überhangmandate – Frau Merkel absprach, jemals Kanzlerin werden zu können.

Laut Statistik wollen mehr als die Hälfte der Deutschen das Duell sehen, davon mehr Frauen als Männer und mehr Alte als Junge. Also tendenziell eine Oma-Sendung?

Ich hoffe nicht. Es sollten auch Erstwähler und die, die schon gewählt haben, zuschauen. Wir leben doch in einer spannenden Zeit. Ich möchte gerne wissen, was Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer zur Lösung der riesigen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des Landes zu sagen haben. Bis jetzt habe ich dazu noch nicht sehr viel gehört, vielleicht kommt das ja am Sonntag.

Die Zeit ist heute spannend, aber war nicht früher die Politik im TV spannender? Mit all den kantigen Typen von Strauß bis Wehner?

Das wird etwas verklärt. Die Debatten damals, die Sendungen im TV, das waren ja alles Unikate. Damals spielte der Wahlkampf im allgemeinen Programm nicht diese große Rolle wie heute. Ich erinnere mich an 1969, als die große Koalition zu Wiederwahl antrat, da haben wir in der ARD dazu zunächst mal richtige Filme über Sachthemen gemacht und uns auf diese Weise langsam an die Fernsehdiskussion herangearbeitet. Das muss man sich heute mal vorstellen. Sehr witzig war übrigens, dass Kurt Georg Kiesinger, der damalige Kanzler, es unter seiner Würde fand, überhaupt an so einer Sendung teilzunehmen.

Er sagte, es sei nicht Aufgabe des Kanzlers, sich auf ein Stühlchen zu setzen und zu warten, dass man ihm das Wort erteilt…

Genau so war's! Aber er ist dann doch hingegangen.

Und wie war's bei Kanzler Schmidt und Herausforderer Kohl?

Schmidt hat sich zunächst geweigert, seinem Kontrahenten Kohl Rede und Antwort zu stehen. Das gab ein Riesentheater, ,Schmidtchen Schleicher’ höhnte die Union.

Und als Kohl Kanzler war?

Als wir ihn, der früher immer das Duell gefordert hatte, zum Interview mit Hans-Jochen Vogel baten, sagte er erst mal: ,Ich denke ja nicht daran.’

Auch Brandt war so, als er den Kanzlerjob hatte.

Ja, dann kam er nur noch zähneknirschend.

Das alles spricht doch sehr für Fernsehduelle!

Natürlich. Und bedenken Sie: Manche dieser Sendungen dauerten, als es noch keine Privatsender gab, zwei bis vier Stunden und hatten 35 bis 40 Millionen Zuschauer. Das war schon was! Ein echtes meinungsbildendes Angebot.

Wäre es nicht besser, man würde alle Regularien abschaffen, die Berater – Spin-Doktoren genannt – wegsperren und beiden Kandidaten eine Flasche Wein hinstellen, damit sie mal ganz ungezwungen reden könnten?

Das würde die TV-Welt sicher verändern, aber das wird keiner machen. Diese Lockerheit bringt keiner auf, weder Bundeskanzlerin Angela Merkel noch ihr Herausforderer. Aber die Spin-Doktoren würde ich alle des Landes verweisen, denn sie richten mehr Unheil an als sie Gutes tun.

Interview: Michael Grill

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