"Dumme Umfragen" - Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Knapp wird’s in Kiel
Kiel - Von Zahlen haben die beiden Spitzengenossen gerade die Nase gestrichen voll. "Wen rufen die eigentlich an?", fragt ein wütender Torsten Albig in der Lübecker Kongresshalle sein SPD-Publikum. Sogar von "dummen Umfragen" spricht der Kieler Ministerpräsident.
Kanzlerkandidat Martin Schulz, der am Donnerstag gemeinsam mit Albig im eigens reservierten "Schulzzug" durch den Norden tingelte, hält die Arbeit der Meinungsforscher für "Kokolores". In Schleswig-Holstein an diesem Sonntag und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU geben. Sollten die Sozialdemokraten hinten liegen, gar beide sicher geglaubten Staatskanzleien verlieren, käme Merkel-Herausforderer Schulz schwer unter Druck.
Jüngste Wahlen haben gezeigt, dass Umfragen auch daneben liegen können. So gibt sich Albig unverdrossen optimistisch: "Es wird einen großen roten Balken und einen kleinen schwarzen geben." Doch irgendwie wirken die Genossen bis hin zu Schulz auf der Zielgeraden schon etwas bedröppelt. Bei der Fahrt des "Schulzzuges" von Kiel nach Lübeck wird er zwar an vielen Bahnsteigen von Fahnen schwenkenden Kindern und Rentnern bejubelt. Nachdenklich-matt schaut Schulz aber aus dem Fenster, als er von den knappen NRW-Umfragen erfährt. CDU-Mann Armin Laschet könnte hier Landesfürstin Hannelore Kraft gefährlich nahe kommen.
Während Bundeskanzlerin Angela Merkel Kanzlerschaft hat es noch nie ein CDU-Politiker geschafft, aus der Opposition heraus Regierungschef zu werden. Bis jetzt. Wenn der Last-Minute-Kandidat der Nord-CDU, Daniel Günther (43), an diesem Sonntag sein Wahlziel von 35 Prozent erreicht, kann das in Schleswig-Holstein gelingen.
Nach dem Triumph Ende März im Saarland würde die CDU so ein Ergebnis dahingehend interpretieren, dass der Schulz-Effekt kein Trend mehr ist, den Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst zu fürchten hat. In der jüngsten Umfrage rangierte die CDU in Schleswig-Holstein mit 32 Prozent vor der SPD mit 29. Die Grünen lagen bei zwölf Prozent, die FDP bei elf und der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Klausel befreite SSW bei drei Prozent. Die AfD wäre mit sechs Prozent im Landtag. Die SPD-geführte Landesregierung kam zwar ohne Krisen über die letzten Jahre.
Aber im Wahlkampf lief bei den Genossen nicht alles glatt. Das TV-Duell gegen Herausforderer Günther konnte Albig nicht gewinnen, und ein "Bunte"-Interview mit Schilderungen eines überkommenen Frauenbildes im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Frau stieß auf massive Kritik. Abgesehen von der Zusage, Eltern mittelfristig von allen Kita-Gebühren zu befreien, und für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, mangelte es der SPD an überzeugenden Zukunftsbotschaften.
CDU-Mann Günther setzte auf populäres Konkretes: weg vom Turbo-Abitur; größere Abstände zwischen neuen Windanlagen und Wohnhäusern, Grunderwerbsteuer senken, A20 endlich zügig weiterbauen. Der Sonntag wird zeigen, ob das reicht.
Lesen Sie hier: Nord-SPD geht mit Parteichef Schulz in Wahlkampfendspurt