Droht uns ein neuer Kalter Krieg?

Alte Ängste werden wieder wach. Es herrscht große Unruhe bei der Nato. Präsident Medwedew droht dem Westen mit seinem Militär und macht klar, dass eine weitere Ausdehnung der Einflusssphäre der NATO Richtung Osten nicht toleriert wird. Steinmeier mahnt zur Vorsicht. Droht uns ein neuer Kalter Krieg?
Nachdem Russlands Präsident Dmitri Medwedew Georgiens abtrünnige Provinzen Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt hat, herrscht weltweit Entsetzen. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.
Was hat Medwedew getan? Russlands Präsident hat Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt, nachdem der Krieg in Südossetien und Georgien gerade mal ein paar Tage her ist. Medwedew sicherte den beiden Provinzen militärische Unterstützung zu. Soll heißen: Wenn Georgien es wagt, die Provinzen zurückzuerobern, marschiert Russlands Armee wieder in die Krisenregion ein.
Empörung der NATO
Wie antwortet der Westen? Nato-Chef Jaap de Hoop Scheffer warf Russland vor, „Frieden und Sicherheit im Kaukasus in Frage zu stellen“. US-Präsident George W. Bush sprach von einer „unverantwortlichen Entscheidung“. Bundeskanzlerin Angela Merkel fand das Vorgehen „absolut nicht akzeptabel.“ Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte: „Diese Spirale der Provokationen muss aufhören, und zwar sofort! Sonst kann die Lage schneller außer Kontrolle geraten als wir glauben.“ Er warnte: „Wenn wir nicht aufpassen, gerät die gesamte Sicherheitsarchitektur in Europa ins Wanken – mit unabsehbaren Folgen für uns alle.“
Welche Konflikte stecken hinter dem aktuellen Streit? In Russland hatte sich eine Menge Wut aufgestaut: Mit Argwohn verfolgten die Russen, wie Staaten aus ihrem ehemaligen Einflussbereich in die EU und die Nato aufgenommen wurden. Auch Intimfeind Georgien will in die Nato. Die Angst der Russen: Irgendwann sind alle Staaten um Russland in dem westlichen Militär-Bündnis. So erklärt sich auch Rainer Lindner von der Stiftung Wissenschaft und Politik das harte Eingreifen der Russen im Kaukasus-Konflikt: „Man hat deutlich gemacht, dass diese Einflusszone unantastbar ist. Eine Erweiterung der Nato in diese Region hinein wird von den Russen nicht akzeptiert.“
US-Raketenschild eine Bedrohung für Russland
Weiteres Problemfeld: der geplante US-Raketenschild in Polen und Tschechien. Das System befinde sich sehr nahe an der russischen Grenze und stelle für Moskau eine Bedrohung dar, zürnte Medwedew. Und drohte: Russland werde auf diese zusätzliche Spannung reagieren und schließe eine militärische Antwort nicht aus. Und schon ist die Angst vor einem neuen Kalten Krieg geschürt, in dem Raketen von Ost und West gegeneinander in Stellung gebracht werden.
Wie begründet Russland die Anerkennung der Provinzen? Medwedew sagte, die Entscheidung sei die „einzige Möglichkeit gewesen, um das Leben der Menschen zu retten“. Er wirft Georgien vor, einen „Blitzkrieg“ gegen die Südosseten geführt zu haben. Medwedew gibt dem Westen auch eine Mitschuld: Schließlich hätten westliche Staaten auch das Kosovo anerkannt - gegen den Willen Russlands.
Stabilität wird benötigt
Ist der Kosovo-Vergleich legitim? Nein, meint Russland-Experte Lindner. „Der Anerkennung des Kosovo ging eine zehnjährige mühsame Verhandlungsphase voraus – in die auch Russland einbezogen war. Der Westen war in die Anerkennung der kaukasischen Provinzen nicht einbezogen.“
In welchen Regionen um Russland schwelen noch Konflikte? Zum einen auf der ukrainischen Halbinsel Krim, wo 60 Prozent der Bevölkerung einen russischen Pass haben. „Russland erhebt immer mehr Ansprüche auf die Krim“, sagt Rainer Lindner. Die gleiche Situation herrsche in Transnistrien, einem Teil Moldawiens. Alarmierend ist, dass diese Krisenregionen direkt im EU-Gebiet stattfinden. „Wir können uns eine Nachbarschaft, in der Konflikte nacheinander hochgehen, nicht leisten. Wir brauchen Stabilität – auch im Interesse unserer Wirtschaftsbeziehungen und vor allem im Interesse unserer Energieversorgung“, sagt Lindner.
Druckmittel: Energie
Welche Sanktions-Mittel hat der Westen? „Vor allem aus wirtschaftlichen Erwägungen kann Russland kein Interesse an einer Isolation haben“, sagt Lindner. Russland strebt in die Welthandelsorganisation WTO, möchte auch bei den G8-Gipfeln eine Rolle spielen. Darüber hinaus sollte noch in diesem Jahr eine erste Verhandlungsrunde für ein Partnerschaftskooperations-Abkommen zwischen der EU und Russland beginnen. Neben wirtschaftlicher Zusammenarbeit sollte es auch mehr Freizügigkeit für Russen geben, in die EU zu reisen. „Diese Verhandlungen kann man für einen gewissen symbolischen Zeitraum aussetzen“, sagt Lindner.
Wie kann Russland den Westen beeinflussen? In erster Linie durch seine Energielieferungen. Dilemma: Europa ist Russlands größter Kunde. Russland braucht das Geld.
Keine Isoaltion
Welche Rolle spielt Deutschland? Eine sehr große, gelang es Bundeskanzlerin Angela Merkel doch, in den vergangenen Wochen einen halbwegs guten Draht nach Moskau aufrecht zu erhalten. Vor allem die guten Wirtschaftsbeziehungen sorgen für enge Verbindungen. „Deutschland hat große Einflussmöglichkeiten. Das muss man jetzt nutzen“, sagt Experte Lindner.
Wie wahrscheinlich ist ein neuer Kalter Krieg? Eher unwahrscheinlich, findet Lindner: „Im Kalten Krieg gab es eine Blocksituation, von der wir jetzt weit entfernt sind. Russland ist in internationale Finanzströme und die Globalisierung eingebunden. Es gibt keinen Anlass, von einer Isolation zu sprechen.“
Wie geht es weiter? Am kommenden Montag entscheidet die EU auf einem Sondergipfel in Brüssel über ein gemeinsames Vorgehen im Konflikt. Deutschland hat zwei Beobachter nach Georgien geschickt, die sich ein Bild von der Lage machen sollen.
Volker ter Haseborg