Droht Polen EU-Aufsicht?
Warschau/Brüssel – Grzegorz Schetyna, noch vor zwei Monaten polnischer Außenminister, sieht die Ergebnisse langjähriger Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern durch die neue nationalkonservative Warschauer Regierung in Gefahr. "Polen ist vom Primus und Erfolgsbeispiel zum Problem für Europa geworden", urteilte er in der vergangenen Woche.
Tatsächlich wird die EU-Kommission am 13. Januar bei ihrer ersten Sitzung im neuen Jahr über die Lage in Polen beraten. Dabei soll ein Verfahren auf den Weg gebracht werden, um zu prüfen, ob die Rechtstaatlichkeit in Polen bedroht ist.
Eine umstrittene Reform des Verfassungsgerichts machte nur kurz nach dem Regierungsantritt der Nationalkonservativen, die im Warschauer Parlament die absolute Mehrheit haben, den Anfang. Noch am letzten Arbeitstag des Jahres 2015 wurde das nicht weniger umstrittene Mediengesetz verabschiedet. Über Spitzenposten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen entscheidet nicht mehr der Rundfunkrat, sondern ein Minister – Kritiker fürchten, künftig zähle nicht mehr Kompetenz, sondern politische "Zuverlässigkeit".
"Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bekennt sich zum Grundsatz der (kommunistischen) Volksrepublik (Polen): Wer die Medien hat, hat die Macht", kommentierte Jaroslaw Kurski, Vize-Chefredakteur der linksliberalen Zeitung "Gazeta Wyborcza". Nicht nur in Polen protestierten Journalistenorganisationen und Menschenrechtsgruppen gegen das neue Gesetz, befürchten eine Gleichschaltung zumindest des öffentlich-rechtlichen Programms.
EU-Digitalkommissar Günther Oettinger forderte am Wochenende eine härtere Gangart gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau. "Es spricht viel dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen", sagte der CDU-Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Diplomaten in Brüssel weisen darauf hin, dass Polen wie kaum ein anderer Mitgliedstaat von EU-internen Transfers profitiert. Zuletzt erhielt Warschau knapp 14 Milliarden Euro mehr aus der EU-Kasse, als in sie eingezahlt wurde. Bezahlt werden diese erheblichen Summen von Brüsseler Nettozahlern wie Deutschland oder Frankreich. Die Nettozahler können zwar EU-Beiträge nicht einfach stoppen, aber im Notfall auf Empfängerländer politischen Druck ausüben, wissen Experten.
Die Kommission ist Hüterin der EU-Verträge und kann gegen Mitgliedstaaten vorgehen, die Gemeinschaftsrecht verletzen. Dazu gibt es rechtliche Verfahren, die in letzter Konsequenz in einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) münden können.
Als weitere Möglichkeit bietet sich das - bisher ungenutzte - Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit an, um gegen staatliche Willkür in Mitgliedstaaten vorzugehen. Dabei kann es um Verstöße gegen gemeinsame Grundwerte, Probleme bei der Achtung der Menschenwürde sowie Einschränkungen in den Bereichen Freiheit oder Demokratie gehen.
Diese Prozedur wurde 2014 nicht ohne Grund geschaffen. Hintergrund waren Auseinandersetzungen mit Ungarns rechtskonservativem Premier Viktor Orban. In Ungarn sah die EU-Kommission die Medienfreiheit sowie die Unabhängigkeit von Richtern und der Justiz in Gefahr.
Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski hat Orbans Kurs stets gepriesen und ein "Budapest an der Weichsel" heraufbeschworen. Nur beim Thema Russland sind Kaczynski und Orban klar unterschiedlicher Meinung – Lob über Kreml-Chef Wladimir Putin kommt Kaczynski nicht über die Lippen.
Allerdings: EU-Maßnahmen gegen Polen dürften all jene unter den Nationalkonservativen bestätigen, die schon immer misstrauisch auf die Staatengemeinschaft blickten und nationale Souveränität bedroht sahen. Nicht von ungefähr verschwanden die Europafahnen gleich nach Amtsantritt von Ministerpräsidentin Beata Szydlo aus der Warschauer Regierungskanzlei.
Doch zugleich steht Europa bei den Regierungskritikern für die Werte, für die sie an der Weichsel weiter kämpfen wollen. Im öffentlich- rechtlichen Rundfunk ertönt zur vollen Stunde abwechselnd mit der polnischen Nationalhymne die Europahymne: "Wir wollen unsere Hörer und die öffentliche Meinung auf die Bedrohung des Pluralismus und der Redefreiheit in den öffentlich-rechtlichen Medien aufmerksam machen", begründete das Kamil Dabrowa, Chefredakteur des Ersten Programms.
Die "Ode an die Freude" ist ein musikalischer Protest - ob die EU Maßnahmen gegen Polen beschließt, bleibt abzuwarten. Der EU-Vertrag enthält eine noch schärfere Waffe, den Artikel Sieben. Dieser regelt, dass Mitgliedstaaten bei schweren und anhaltenden Verletzungen der im Vertrag verankerten Werte das Stimmrecht bei Ministerräten und EU-Gipfeln entzogen werden kann. Bis zu dieser Sanktion ist aber ein langer und komplizierter Weg zurückzulegen.