Interview

Drohen Kriege um die Ressource Wasser? "Die Situation spitzt sich zu"

Die Nachfrage nach Süßwasser explodiert, gleichzeitig geht die Menge der kostbaren Ressource weltweit zurück. Was diese Entwicklung für die Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet – und in welchen Regionen die Lage besonders kritisch ist, erklärt Buchautor Jürgen Rahmig im AZ-Interview.
Natalie Kettinger
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In Ostafrika sind laut Welthungerhilfe aktuell mehr als 36 Millionen Menschen von einer extremen Dürre betroffen. Hier gräbt ein Mädchen in Kenia in einem ausgetrockneten Flussbett nach Wasser.
In Ostafrika sind laut Welthungerhilfe aktuell mehr als 36 Millionen Menschen von einer extremen Dürre betroffen. Hier gräbt ein Mädchen in Kenia in einem ausgetrockneten Flussbett nach Wasser. © imago

Wasser ist Leben und damit die wohl wertvollste Ressource der Welt. Der Bedarf der Weltbevölkerung steigt stetig, doch ist immer weniger Wasser verfügbar – mit teils verheerenden Folgen.

Journalist und Buchautor Jürgen Rahmig befasst sich seit über 40 Jahren mit Außenpolitik – und damit, was Dürre und Wasserknappheit für Folgen haben werden. Im AZ-Interview erklärt er, wo bereits Konflikte um die Ressource Wasser ausbrechen und was der Staudammbruch in der Ukraine für die Menschen und den Fortgang des Krieges bedeuten wird. 

AZ: Herr Rahmig, werden bald Kriege um die Ressource Wasser geführt?
JÜRGEN RAHMIG: Das ist durchaus möglich. Aber häufiger und wahrscheinlicher als richtige Kriege zwischen Staaten sind begrenzte Kämpfe oder Attacken, die man sich in etlichen Krisengebieten durchaus vorstellen kann.

Der Journalist und Autor Jürgen Rahmig befasst sich seit mehr als 40 Jahren mit Außen- und Sicherheitspolitik.
Der Journalist und Autor Jürgen Rahmig befasst sich seit mehr als 40 Jahren mit Außen- und Sicherheitspolitik. © Markus Niethamm

An welche denken Sie?
Zwischen Afghanistan und dem Iran gab es jetzt Gefechte. Hintergrund ist, dass der Fluss Helmand, der in der Nähe von Kabul entspringt, bis an die afghanisch-iranische Grenze fließt und dort die Sistan-Ebene beiderseits der Grenze bewässert. Obwohl es einen alten Vertrag von 1973 gibt, kommt aus Afghanistan meist zu wenig Wasser bis in den Iran und den Hamunsee, der langsam versiegt. Die Taliban wollen das Wasser für sich – das führt zu einer Mangellage für die Iraner der Region. Das Problem ist nicht neu, aber es spitzt sich zu, verstärkt auch durch den Klimawandel.

Krise zwischen Ägypten und Äthopien: "Kairo drohte mehrfach mit Krieg"

Welche Risiko-Kandidaten gibt es noch?
Ägypten und Äthiopien zum Beispiel. Ägypten ist zu über 90 Prozent vom Nilwasser abhängig - und in Äthiopien wurde der Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm gebaut, der jetzt befüllt wird. Beide Nationen erleben eine rasante Bevölkerungsentwicklung und liegen jeweils bei etwa 105 Millionen Einwohnern, während die Wassermenge immer dieselbe bleibt oder klimatisch bedingt eher abnehmen wird. Deshalb haben beide ein Interesse daran, diese Ressource für sich zu behalten, um die Menschen mit Wasser und Elektrizität zu versorgen.

Sorgt für Spannungen zwischen Ägypten und Äthiopien: der Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm.
Sorgt für Spannungen zwischen Ägypten und Äthiopien: der Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm. © dpa

Äthiopien erlebt derzeit eine schnelle wirtschaftliche Entwicklung, benötigt mehr Strom und beansprucht mehr Wasser für sich. Es gibt einen sehr alten Vertrag zwischen Ägypten und dem Sudan über die Nilwasser-Nutzung, in dem die ganzen Ober-Anrainer, unter anderem Äthiopien, gar keine Rolle spielen. Über Jahrzehnte hinweg hat man sich nicht einigen können, auch jetzt nicht, obwohl die Ägypter eigentlich seit 2011 wissen, dass diese Talsperre gebaut wird. Mehrfach drohte Kairo mit Krieg.

Wie ist der aktuelle Stand des Projektes?
Das Befüllen des Damms wird einige Jahre dauern. Entscheidend dabei ist die Geschwindigkeit. Wenn er – wie von Äthiopien gewünscht – schnell befüllt wird, fehlt den Ägyptern auf einen Schlag sehr viel Wasser. Aber das grundsätzliche Problem ist: Die vorhandene Wassermenge reicht eigentlich nicht mehr, um die Menschen in Äthiopien, Ägypten und dem Sudan ausreichend zu versorgen.

Buchautor Jürgen Rahmig: "Wann ist der Mangel so groß, dass eine Regierung beschließt, zu handeln?"

Wo gibt es noch Probleme?
Schauen Sie nach Jordanien: Dort ist Wasser seit jeher extrem knapp, während Saudi-Arabien mit dem Grundwasser aus der Eiszeit aast, das sich in einer grenzüberschreitenden Blase auch auf jordanischer Seite befindet. Die Jordanier sind natürlich erbost darüber, dass es bei den Nachbarn für absurde Projekte wie Weizenanbau in der Wüste verschwendet wird. Ist dieses Grundwasser erst einmal abgepumpt, dann war es das. Die Frage in all diesen Regionen, aber auch in Mesopotamien oder der Sahelzone ist: Wann ist der Mangel so groß, dass eine Regierung beschließt, zu handeln?

In Ihrem Buch widmen Sie einer Talsperre ein ganzes Kapitel, die nun traurige Berühmtheit erlangt hat: dem Kachowka-Staudamm in der Ukraine. Welche Bedeutung hatte er im Konflikt um die Krim?
Die Talsperre am Dnepr dient der Elektrizitätsgewinnung, Wasserversorgung und Kühlung des Kernkraftwerkes Saporischschja. Entscheidend für die Wasserversorgung der Krim war ein Kanal, der von Kachowka bis auf die Halbinsel führt. Nachdem die Krim 2014 annektiert wurde, haben die Ukrainer das Wasser reduziert - und nun, nach der Sprengung, fließt kaum noch welches.

Nach der Staudamm-Sprengung in der Ukraine: "Die Krim trocknet aus"

Welche Auswirkungen hat das auf der Krim?
Die Krim trocknet aus. Die ersten Betriebe reduzieren ihre Tätigkeit. Der Landwirtschaft fehlt das Wasser. Es ist zwar technisch möglich, diesen Damm wieder aufzubauen – aber schnell geht das nicht. Hinzukommt: Auf der einen Seite des Dnepr sind weiterhin die Russen, auf der anderen die Ukrainer. So ist ein Wiederaufbau derzeit nicht möglich.

Im Krieg zerstört: der ukrainische Kachowka-Staudamm.
Im Krieg zerstört: der ukrainische Kachowka-Staudamm. © dpa

Haben Sie eine Vermutung, wer den Damm gesprengt hat?
Nach der Nord-Stream-Sprengung, die noch ungeklärt ist, lässt sich auch bei Kachowka vieles vermuten. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Panik-Sprengung der russischen Seite war, weil sie annahm, dass die erwartete Offensive der Ukraine über den Dnepr südlich des Damms in Richtung Krim geführt wird. Das hat man durch die Sprengung natürlich verhindert – und sich dabei selbst ins Knie geschossen. Denn nun ist der Stausee weg und der Dnepr kein großes Hindernis mehr für die Ukrainer, um nördlich von Kachowka anzugreifen.

Ressource Wasser: "Der Verbrauch wird sich in den nächsten 30 Jahren verdreifachen"

Wie ist es weltweit um die kostbare Ressource Wasser bestellt?
Von den etwa 1,4 Milliarden Kubikkilometern Wasser auf der Erde sind 97 Prozent Salzwasser und damit für den Menschen ungenießbar. Die verbleibenden drei Prozent Süßwasser, die in Flüssen, Seen, dem Grundwasser und der Atmosphäre vorhanden sind, sind extrem ungleich verteilt. Weltweit wird heute sechs Mal so viel Wasser verbraucht wie noch vor 100 Jahren. In den nächsten 30 Jahren soll sich der Verbrauch noch einmal verdreifachen. Aber schon jetzt ist der Mangel in Ländern wie Bangladesch, in der Sahelzone oder in Ostafrika enorm, was vom Klimawandel noch befeuert wird.

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Mit welchen möglichen Folgen?
Der Meeresspiegel kann durch das Abtauen vor allem des Grönland-Eises weltweit um fünf bis sieben Meter steigen. Für ein Land wie Bangladesch mit einem riesigen Mündungsgebiet wäre das fatal. Käme dann aus den Bergen des Himalaya auch noch weniger Wasser, würde sich die Situation verschärfen – weil das Salzwasser weiter flussaufwärts ins Delta eindringen kann, viel Land überschwemmt und unbrauchbar macht. Das wäre für Bangladesch eine existenzielle Katastrophe. Aber die Folgen von Klimawandel und Wassermangel stellen wir ja auch in Europa fest: in Spanien, wo es so heiß und trocken war wie noch nie - und darauf folgten gewaltige Überschwemmungen. Oder in Italien und Frankreich.

Folgen der Wasserknappheit: "Die Flucht der Menschen wird sich gewaltig verstärken"

Was bedeutet das für die Ausrichtung der Außen- und Sicherheitspolitik Europas?
Die Flucht der Menschen hin zum Wasser wird sich gewaltig verstärken. Und wenn sich zum Beispiel einige Millionen Ägypter auf den Weg machen, haben wir ein weiteres großes Problem. Außerdem profitieren in Ostafrika und der Sahelzone Terrororganisationen wie der IS von der Not der Menschen. Dass Staaten dort nicht mehr in der Lage sind, diese Menschen zu versorgen, bringt solchen Gruppen Zulauf, siehe Mali, Tschad, die Zentralafrikanische Republik oder Burkina Faso. Und das ist auch für uns ein Sicherheitsproblem.

Deshalb müssen wir überlegen, wie man mit diesen Staaten umgeht – die vielleicht auch nicht direkt kooperativ sind. Wir müssen ein Interesse daran haben, dass es dort nicht zu solchen Konflikten oder Kriegen kommt, die zu großer Flucht und Vertreibung führen. Einmal ganz davon abgesehen, dass dies auch eine humanitäre Geschichte ist: Wir müssen den Menschen helfen.

Wie könnte diese Hilfe konkret aussehen?
Nicht so wie im Niger: Der Niger hat aus Europa viel Geld erhalten, um die Fluchtrouten der Menschen an die Küsten zu unterbrechen. Das lief unter Entwicklungshilfe – aber das ist es doch nicht! Es hilft den Menschen dort nicht gegen die Trockenheit. Ganz allgemein: Wir müssen und können etwas tun, indem wir zunächst präventiv vorgehen.

Experten wie Meteorologen können analysieren, wo Brennpunkte entstehen könnten, und andere, wie man gegenwirken kann: Muss man Brunnen bauen? Muss man Wasserspeicher errichten? Wie kann man Bauern und Viehzüchtern helfen, an Wasser zu gelangen? Gibt es Pflanzen, die mehr Trockenheit vertragen? Wie lässt sich das Meer davon abhalten, ins Land vorzudringen? Und man müsste helfen, indem man moderiert und die einzelnen Akteure an einen Tisch bringt.

"Der Kampf ums Wasser. Im Jahrhundert der Dürre" von Jürgen Rahmig ist bei Hirzel erschienen und kostet 26 Euro.
"Der Kampf ums Wasser. Im Jahrhundert der Dürre" von Jürgen Rahmig ist bei Hirzel erschienen und kostet 26 Euro.

Wer könnte diese Rolle übernehmen?
Die Vereinten Nationen, andere Hilfsorganisationen, aber natürlich vor allem Staaten wie Deutschland oder die Europäische Union. Die EU müsste das koordinieren, aber auf europäischer Ebene fokussiert man sich ja derzeit auf das Abhalten von Flüchtlingen an den Außengrenzen der Gemeinschaft. Dabei könnte man - banal gesagt - die meisten Flüchtlinge am besten damit abhalten, dass man ihnen ein Auskommen in ihren Heimatländern ermöglicht.


Jürgen Rahmigs Buch "Der Kampf ums Wasser. Im Jahrhundert der Dürre" ist bei Hirzel erschienen und kostet 26 Euro.

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