Donnerwetter ums Klima – auch um das eigene

Über den Jamaika-Verhandlungen ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Teilnehmer drohen sogar mit Abbruch. Es geht um die Reizthemen Klimaschutz und Zuwanderung.
von  AZ
Die Sondierungsgespräche schreiten voran - aber eine Einigung ist noch nicht in Sicht.
Die Sondierungsgespräche schreiten voran - aber eine Einigung ist noch nicht in Sicht. © dpa

Berlin - Eigentlich klingt Jamaika nach Sonne, Meer und Wärme. Doch vor dem ehrwürdigen Altbau beim Berliner Reichstag ist es bitterkalt an diesem Nachmittag. Von der Spree her bläst ein schneidender Wind, der den Postboten auf seinem Fahrrad, der ein paar Briefe bringt, ebenso frösteln lässt wie die wartenden Kameraleute und Fotografen.

Und frostig ist auch das Klima unter den Vertretern von CDU, CSU, FDP und Grünen, die im Kaisersaal der Parlamentarischen Gesellschaft dem großen Ziel einer gemeinsamen Regierung ein kleines Stück näher kommen wollen.

Die Harmonie der ersten Sondierungsgespräche ist völlig verflogen. Die Reizthemen Klimapolitik und Migration lassen Gewitterwolken aufsteigen. In diesen beiden Bereichen gehen die Meinungen der Verhandlungspartner so weit auseinander, dass hier die wohl größte Gefahr eines Scheiterns der Idee von der Jamaika-Koalition droht.

Umstrittene Fragen

Es sind heftigst umstrittene Fragen, um die sich diese Runde dreht: Ob und wann das Aus für Kohlekraftwerke und Autos mit Verbrennungsmotor kommen soll, ob künftig eine Art von Flüchtlingsobergrenze gilt und ob die Familien von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus nachkommen dürfen. FDP-Vize Kubicki spricht von "fehlendem Grundvertrauen" Doch bevor die Diskussion um die Rettung des Weltklimas beginnen kann, müssen die Jamaika-Parteien erst einmal das Klima in ihren Sondierungsgesprächen retten.

Das hat sich massiv verschlechtert, seit ein Streit darüber entbrannt ist, welchen Stellenwert die bisherigen Verhandlungsergebnisse denn überhaupt haben. So hatte die FDP-Seite in Sachen Finanzpolitik verkündet, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und der Verzicht auf neue Schulden sei beschlossene Sache. Die Grünen bestritten dies, es folgten gegenseitige Angriffe. FDP-Vize Wolfgang Kubicki sprach von "fehlendem Grundvertrauen", Grünen-Unterhändler Cem Özdemir mahnt eine "Diskussion über Umgangsformen" an.

Vor diesem Hintergrund beginnt der Verhandlungstag mit einer Gruppentherapie, geleitet von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die, so heißt es aus Teilnehmerkreisen, spricht ein Machtwort, gibt die Maßgabe aus, dass zunächst einmal noch gar nichts fest vereinbart sei. Die Einigung auf konkrete Maßnahmen stehe erst am Ende der Jamaika-Gespräche. Dann geht es noch einmal um Europa, aus der Dienstags-Runde sind da noch Fragen offen. Einig sind sich die Verhandlungspartner, dass sie ein starkes, geeintes Europa eintreten wollen – und eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich anstreben.

Jamaika bekennt sich zu Klimazielen

Immerhin bekennt sich Schwarz-Gelb-Grün zu den Klimazielen Mit mehrstündiger Verspätung beginnt die Auseinandersetzung über die künftige Klimapolitik. Die Abschaltung der 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke haben die Grünen im Wahlkampf versprochen, für den Fall dass sie an die Regierung kommen. Und bis zum Jahr 2030 solle Deutschland sogar alle Kohlekraftwerke stilllegen. Doch der Widerstand in der Union ist groß. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet macht sich zum Anwalt der letzten Kohlekumpel in Deutschland, nicht nur an Rhein und Ruhr, auch im Braunkohlerevier Lausitz sieht er die Erwerbsgrundlage tausender Menschen in Gefahr.

Die Gespräche verlaufen sehr hitzig, angeblich drohen Teilnehmer sogar mit Abbruch, heißt es. Immerhin: Alle Gesprächsteilnehmer bekennen sich zu den geltenden Klimazielen. Wie diese Ziele erreicht werden sollen, darüber müsse allerdings noch intensiv gesprochen werden. "Manche Versprechen erweisen sich jetzt als Blütenträume" Eine Abkehr von den Klimazielen, das wissen alle Beteiligten, hätte wohl das Nein der Grünen-Basis und damit das Ende des gesamten Jamaika-Projekts bedeutet. Als in Berlin der Feierabendverkehr beginnt, hunderttausende Autos ihre Abgase in die Abendluft blasen, diskutiert die Jamaika-Runde noch immer über Luftreinhaltung und Klimaschutz.

Flüchtlingspolitik als Knackpunkt

Die heiklen Gespräche über Migration und Flüchtlingspolitik stehen da noch aus. Von der CSU und den Grünen kommen bereits markige Töne. Der Wahlkampf sei zu Ende, "manche Versprechen erweisen sich jetzt als Blütenträume", sagt Cem Özdemir. Die Grünen sind gegen eine Flüchtlingsobergrenze.

Ihre Forderung nach einem Einwanderungsgesetz teilt die FDP, die sich allerdings gleichzeitig für "Begrenzung und Kontrolle von Zuwanderung" ausspricht. Positionen, die sich nicht leicht unter einen Hut bringen lassen. Aus der Jamaika-Runde heißt es, dass über die Flüchtlingspolitik noch "sehr viel" zu reden sein wird.


Politik-Vize Clemens Hagen über die Sondierungsgespräche:

Sie küssten und sie schlugen sich: Unter dieser Überschrift könnte ein Artikel nach dem – erfolgreichen! – Ende der Jamaika-Verhandlungen veröffentlicht werden. Dass es bis dahin noch eine kleine Ewigkeit dauern dürfte, ist ärgerlich. Natürlich wollen alle Parteien das Maximum bei den Gesprächen für sich und ihre Wählerschaft herausholen, aber eine Einigung ist alternativlos – und deshalb möglichst geschwind wünschenswert.

Je länger sie in Berlin feilschen wie auf einem orientalischen Basar, desto länger liegt das Land in Starre. Regiert wird es derzeit höchstens mit halber Kraft. Ein gefährlicher Zustand in gefährlichen Zeiten. Es ist schade, dass der Gesetzgeber keinen Zeitrahmen für Koalitionsgespräche vorschreibt. Welche Punkte stehen heute auf der Agenda? Verhandeln. Abhaken. Nächster Punkt.

Was Tag für Tag in zahllosen Büros praktiziert wird, sollte auch in der Politik möglich sein. Fußballspiele sind spannend, wenn es in die Verlängerung geht, politische Verhandlungen sin

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