Dieckmann im AZ-Interview: „Wir können alle ernähren“
Die Präsidentin der Welthungerhilfe spricht im AZ-Interview über den Ernährungsgipfel.
AZ: Frau Dieckmann: Eine Milliarde Menschen hungern. Eine unvorstellbare Zahl. Lässt Sie das verzweifeln?
BÄRBEL DIECKMANN: Man kann schon Zweifel bekommen. Es hat Fortschritte gegeben, aber die absoluten Zahlen sind gestiegen. Deshalb setzen wir jetzt die Hoffnung in den Welternährungsgipfel, dass es in Rom zu konkreten Beschlüssen kommt.
Das ist zumindest zweifelhaft. Das Millenniumsziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren, findet sich nicht in der Abschlusserklärung. Warum?
Das ist nur realistisch. Die Weltbevölkerung wächst zu schnell. Wir brauchen mehr Investitionen in die Bildung, ins Gesundheitswesen, vor allem aber in die Landwirtschaft. Drei von vier Betroffenen leben in ländlichen Gebieten. Wenn sie sich dort nicht ernähren können, gehen sie in die Städte, in die Slums. Die Folge ist weitere Verelendung.
Wie kann der Westen helfen? Säcke voller Weizen durch die Welt zu karren, kann nicht die Lösung sein?
Nein. Hilfslieferungen sind nur im absoluten Notfall angebracht. Wir brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Wir fordern, dass mindestens 17 Prozent der Entwicklungshilfe in die Landwirtschaft fließen. In Deutschland sind es nur sechs Prozent. Die Betroffenen brauchen zum Beispiel Saatgut.
Was müssen die Führer der Hungerländer tun?
Das Problem ist am schlimmsten, wo es Kriege gibt. Da können wir als Welthungerhilfe keinen Einfluss nehmen. Wir können nur dazu beitragen, Kenntnisse und Bildung zu vermitteln, damit aus Betroffenen mündige Bürger werden.
Was halten Sie von dem Gipfel? Berlusconi ist der einzige Staatschef der reichen Länder. Ansonsten bestimmen Exoten und Irrlichter das Bild.
Das sehe ich nicht so. Die Aussagen dort gehen schon in die richtige Richtung. Wir fürchten nur, dass die Zeiträume für die Beschlüsse zu lang sind.
Wie wird sich der Klimawandel auswirken?
Es gibt mehr Trockenheit und mehr Stürme. Darunter leiden die Hungerregionen am meisten. Wenn es jetzt auf dem Klimagipfel in Kopenhagen – wie befürchtet – keine Einigung gibt, dann ist das noch ein schwerer Rückschlag.
Was bedeutet Bevölkerungsexplosion. Macht es Sinn, Geburtenregelung weiterzuverfolgen?
Geburtenregelung bleibt aktuell. Aber in den nächsten Jahren wird die Weltbevölkerung weiter wachsen. Wichtig ist: Wir können alle Menschen ernähren auf der Welt. Wenn wir das Richtige tun.
Interview: Matthias Maus
Deutsche Welthungerhilfe e.V. Sparkasse Köln/Bonn. Konto: 1115, BLZ: 370 501 98
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