Die Zukunft der Rente
Die Lage der Rentenkasse ist schwer genug – aber jetzt sorgen noch ein paar Extra-Faktoren für Probleme: die niedrigen Zinsen, das Rentenpaket der GroKo – und eine speziell deutsche Mischung
Berlin - Wenn aktuell über Alterseinkommen diskutiert wird, dann über die Feinheiten der Rente mit 63 – doch dieses Modell gilt ohnehin nur für einige wenige aus einigen wenigen Jahrgängen. Mehrere neue Studien heben jetzt den Blick etwas höher und befassen sich generell mit der Zukunft der Rente. Mit wenig erfreulichen Ergebnissen: An der Rente wird von allen Seiten geknabbert.
Das Grundproblem ist und bleibt die Alterung der Gesellschaft. Heute kommen in der EU 27,5 Rentner auf 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter, im Jahr 2060 werden es bereits 52,6 sein, so Zahlen des HWWI-Instituts. Um das System trotzdem halbwegs zu halten, ist die schrittweise Senkung des Rentenniveaus seit Jahren beschlossen. Dazu kommen nun aber noch ein paar neue Probleme.
Das Rentenpaket der großen Koalition. Es bringt Verbesserungen für zwei konkrete Gruppen: ältere Mütter und besonders langjährig Beschäftigte. Die Kosten dafür senken aber erstens das Rentenniveau für alle und lassen zweitens die Beiträge steigen. Mit diesem Effekt hat sich auch eine Studie des Prognos- und des Handelsblatt-Research-Instituts befasst, die gestern vorgestellt wurde. „Als Folge der beschlossenen Mütterrente und Rente mit 63 dürfte der Rentenbeitrag für 2030 auf 22,7 von derzeit 18,9 Prozent steigen, während das Sicherungsniveau um bis zu 0,5 Prozent niedriger ausfällt als ohne diese Maßnahmen“, so Prognos-Chefökonom Michael Böhmer.
Damit liegt die Studie sogar noch unter den Zahlen des Arbeitsministeriums: Es hat selbst eingeräumt, dass durch die neuen Beschlüsse das Rentenniveau für alle um 0,7 Prozentpunkte sinken wird – also 44,0 statt 44,7 Prozent eines Durchschnittslohns im Jahr 2030. Das Max-Planck-Institut sieht gar ein allgemeines Minus von 2,3 Prozentpunkten wegen des Rentenpakets. Die Kosten des Projekts werden auch von Befürwortern wie dem DGB nicht bestritten – er fordert auch deswegen, dass noch mehr Steuergeld in die Rentenkasse fließen sollte.
Die Mickerzinsen. Doch auch bei der privaten Absicherung sind die Aussichten nicht rosig. Klassische Lebensversicherungen schwächeln schon länger, aber auch alle anderen Anlageformen leiden unter den sehr mageren Renditen. „Die Niedrigzinsphase ist für die kapitalgedeckte Altersvorsorge eine besondere Herausforderung“, hält die Prognos-Studie fest – das ist bemerkenswert, weil sie von der Versicherungswirtschaft in Auftrag gegeben wurde, die ein Interesse an einer anderen Antwort hätte. Zwar gebe es Ausweichmöglichkeiten für Anlagen in Großbritannien oder Schwellenländern, aber in Deutschland sei mit einem „langfristig abflachenden Wachstum“ zu rechnen.
Fazit der Studie: Beide Säulen seien in der Kombination wichtig, gesetzliche und private Vorsorge. „Wie bei jeder guten Anlage: Man legt nicht alle Eier in einen Korb“, sagt ausgerechnet Alexander Erdland, Chef der privaten Versicherungsbranche.
Das speziell deutsche Problem. Eine andere Untersuchung hat sich gerade mit den europäischen Rentensystemen im Vergleich befasst: Und Deutschland landet hinter Italien (das das größte Problem haben wird) auf dem zweitschlechtesten Platz aller EU-Länder, so die Untersuchung des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Denn es kombinieren sich mehrere Faktoren: der Anteil der Über-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung, das tatsächliche Renteneintrittsalter, die Höhe der staatlichen Leistungen.
Zur Veranschaulichung: Irland hat das kleinste Rentenproblem – weil im Verhältnis viel mehr Kinder zur Welt kommen und weil die Angestellten EU-weit am längsten tatsächlich arbeiten (bis 64,1). Oder: Frankreich und Schweden haben zwar hohe staatliche Leistungen, aber können es sich dank hoher Geburtenraten besser leisten als Deutschland. Die Forscher: „Die Alterung der Bevölkerung gefährdet viele Länder weit dramatischer als die Schuldenkrise.“ Und diesmal treffe es neben Italien vor allem Deutschland.
Und was kann man tun? Das Problem der Rentenkasse ist schnell erklärt, wird von vielen aber unterschätzt: Immer weniger Junge zahlen immer länger für die Älteren. Daran lässt sich nicht rütteln: Die Geburtenrate liegt bei 1,4 Kindern pro Paar, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung stetig (um drei Monate pro Jahr). Aber welche Stellschrauben gibt es dann?
Der Bochumer Professor Martin Werding hat sich damit in einer großangelegten Studie „Wie das Rentensystem stabilisiert werden kann“ befasst. Auf der Zahlenbasis von 2013 hat er für verschiedene Faktoren berechnet, wie stark das Rentenniveau sinkt und wie stark die Beiträge der aktiven Generation steigen.
Einen schnellen Ausweg aus der Misere bietet er nicht. Ein Produktivitäts-Fortschritt, auf den zum Beispiel die Linke hofft, habe rechnerisch nur minimale Effekte im Vergleich zur Wucht des Wandels in der Altersstruktur. Er allein würde nicht im Ansatz nicht reichen, wobei Werding ohnehin klar macht, dass sein Katalog an Maßnahmen nicht zum Auswählen gedacht ist, sondern dass alle greifen müssten, um das Rentensystem wetterfest zu machen.
Einen enormen Effekt hat die Zuwanderung. Ohne einen deutlich stärkeren Zustrom von Migranten als heute würde das Rentennivau auf 39 Prozent fallen – gleichzeitig müssten die Jungen fast ein Drittel ihres Einkommens in die Rentenkasse zahlen, so das Rechenmodell des Bochumer Professors.
Eine weitere große Rolle spielen die Frauen: Noch immer sind sie am Arbeitsmarkt unterrepräsentiert – hier müssten noch viel mehr Betreuungsmöglichkeiten und neue Arbeitsmodelle geschaffen werden.
Nächster Faktor: Beamte und Selbstständige. Werding hält es für zwingend, dass künftig alle in die Rentenkasse einzahlen.
Und dann die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Für den Rentenexperten ist denkbar, dass das Rentenalter weiter angehoben wird, etwa auf 69 im Jahr 2060. Gleichzeitig stellt er höhere Abschläge für einen vorzeitigen Renteneintritt zur Debatte – aktuell sind es 3,6 Prozent pro Jahr, in anderen Ländern 5 bis 7. Und ebenfalls parallel müssten die Arbeitgeber liefern und mehr Ü-55-Arbeitnehmer beschäftigen und die Arbeit altersgerecht gestalten.
Schließlich nennt er den Faktor Bildung: Wenn es gelänge, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren und der Uni-Absolventen zu erhöhen, würde dies das Rentenniveau erhöhen.
Für nötig hält Werding außerdem einen Zwang zur privaten Altersvorsorge: Dann könnte man das Rentenniveau sogar auf dem heutigen Level halten.