Die wollen uns nicht

Annette Zoch, die AZ-Redakteurin, über die derzeitige politische Lage in der Türkei.
von  Annette Zoch
Seit Jahren schon hält man den Türken den EU-Beitritt vor die Nase wie ein Leckerli.
Seit Jahren schon hält man den Türken den EU-Beitritt vor die Nase wie ein Leckerli. © dpa

Annette Zoch, die AZ-Redakteurin, über die derzeitige politische Lage in der Türkei.

Seit Jahren schon hält man den Türken den EU-Beitritt vor die Nase wie ein Leckerli. Und zwar gerade so nah, dass sie knapp nicht drankommen. Diese Hinhalte-Taktik hat inzwischen Wirkung gezeigt: Waren 2004, kurz vor Beginn der offiziellen Beitrittsverhandlungen, noch 75 Prozent der Türken für die EU, sind es mittlerweile weniger als 50 Prozent.

Die wollen uns nicht, dann wollen wir halt auch nicht, sagen sich viele Türken. Immer stärker verfestigt sich in der Türkei der Eindruck, dass man die EU gar nicht braucht. Das türkische Selbstbewusstsein ist gewachsen, das wird auch Premierminister Erdogan heute beim Besuch in Berlin zum Ausdruck bringen. Während die Eurozone unter Arbeitslosigkeit ächzt und einer Rezession entgegenwankt, geht’s der türkischen Wirtschaft gut. Die Ausfuhren in arabische und afrikanische Länder nehmen stetig zu – wer braucht Europa? Doch damit vergeben sich beide Seiten, die Türkei und die EU, auf lange Sicht wichtige Chancen. Die Türkei vergibt sich die Möglichkeit, im Rahmen eines EU-Beitritts eigene Reformen voranzutreiben. Was Korruption, Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit angeht, ist die Türkei auf dem Rückschritt. Und die EU vergrätzt einen wichtigen Partner für mehr Stabilität im Nahen Osten. Gerade für die Umbruch-Länder des arabischen Frühlings kann die Türkei als muslimisch geprägtes Land mit demokratisch-parlamentarischer Kultur ein wichtiges Vorbild sein. Daran muss auch die EU ein Interesse haben.

 

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