Die Wahl-Verweigerer

Phänomen Nichtwähler: Wer sind sie, wie ticken sie, was stört sie? Eine Studie hat sie untersucht. Ergebnis: Häufiger als andere sind sie arm, gering gebildet, nicht erwerbstätig und ostdeutsch
von  tan
"Sie haben zwei Stimmen" - aber nutzen Sie sich auch? Knapp ein Drittel der Deutschen geht nicht zur Wahl.
"Sie haben zwei Stimmen" - aber nutzen Sie sich auch? Knapp ein Drittel der Deutschen geht nicht zur Wahl.

Phänomen Nichtwähler: Wer sind sie, wie ticken sie, was stört sie? Eine Studie hat sie untersucht. Ergebnis: Häufiger als andere sind sie arm, gering gebildet, nicht erwerbstätig und ostdeutsch

Sie haben zwei Stimmen“, steht auf dem Wahlzettel – doch manche verzichten darauf: die Nichtwähler. Sie werden mehr, und es scheint, als würde das Verweigern immer salonfähiger. In Talkshows erläutern eloquente Vertreter, warum das schick ist. Tatsächlich ist die intellektuelle Spezies zwar laut und auffällig, tatsächlich stellt sie nur eine winzige Minderheit der Nichtwähler. „Ein Randphänomen“, sagt Dietmar Molthagen, Leiter einer großen Studie über Nichtwähler. Die übergroße Mehrheit derer, die sich die Kreuze sparen, ist deutlich ärmer und geringer gebildet als der Schnitt der Bevölkerung.

Wer sind die Nichtwähler? Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich zusammen mit Forsa dieser Frage angenommen: Sie haben 3502 Nichtwähler ausführlich befragt – die Teilnehmer stammen aus dem Forsa-Datenfundus der üblichen Umfragen. Wer da mal gesagt hatte, er gehe nicht wählen, wurde erneut kontaktiert. Die Forscher unterschieden mehrere Typen: vom Dauerverweigerer, der schon den letzten vier Bundestagswahlen ferngeblieben ist, bis zum „Erst-Nichtwähler“, der sonst immer zur Urne gegangen ist, aber diesmal nicht will.

Wollen alle Nichtwähler das Gleiche? Gar nicht, sie haben sehr unterschiedliche Interessen. Der Begriff „Partei der Nichtwähler“, der ähnliche Motivationen suggeriert, führt in die Irre. „Eine starke Gruppe sagt: ,Die Parteien sind zu verwechselbar, da gibt es kaum Unterschiede.’ Aber eine ebenso große Gruppe sagt: ,Ich wünsche mir mehr Harmonie und weniger Streit unter den Parteien: Sie sollen lieber zusammenarbeiten, um die Probleme zu lösen’“, sagt Molthagen, Leiter der empirischen Sozialforschung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Den einen Nichtwählern herrscht also zu wenig Polarisierung – den anderen zu viel.

Wo stehen die Nichtwähler sozial? Ganz klar „überproportional in den unteren Schichten“, so alle Studien. Die erste Auffälligkeit: Nichtwähler sind überdurchschnittlich arm. Neun Prozent der Wähler haben ein Haushaltseinkommen von unter 1000 Euro netto, aber 20 Prozent der Dauernichtwähler. Das setzt sich in allen Einkommensklassen fort: Je mehr Geld monatlich da ist, desto höher die Wahlbeteiligung. Zweite große Auffälligkeit: die Bildung. Die Mehrheit der Wählenden hat Abitur. Mehr als zwei Drittel der Nichtwähler haben nur einen Haupt- oder Realschulabschluss. Dritte große Auffälligkeit: 54 Prozent der Wähler sind erwerbstätig, aber nur 43 Prozent der Nichtwähler. Molthagen: „Das sind Arbeitslose, Rentner und Hausfrauen.“ Und viertens die Geografie: Im Osten ist der Anteil der Nichtwähler mehr als doppelt so hoch wie im Westen. FES-Forscher Molthagen hält diese Entwicklung, dass vor allem die unteren Schichten nicht wählen, für bedenklich: „Das macht uns Sorgen. Die Gefahr besteht, dass sich die unteren Schichten immer stärker ausgegrenzt fühlen und dass eine Schieflage in der sozialen Repräsentanz entsteht.“ Gebildete und privilegierte Bürger verstünden es ohnehin oft besser, ihre Interessen durchzusetzen.

Was stört die Nichtwähler? Ganz oben auf ihrer Liste kommt immer wieder das Argument: „Die Politiker kümmern sich nicht mehr um die kleinen Leute und haben kein Ohr für ihre Sorgen.“ Alle anderen genannten Beweggründe folgen weiter hinten: dass den Politikern doch nur die eigene Karriere wichtig sei. Dass sich Wählen nicht lohne, weil es auf eine Stimme nicht ankomme. Dass es keine Partei gebe, die die eigenen Interessen vertrete. Und was wäre den Nichtwählern wichtig? Molthagen: „Auch das ist interessant, weil viele sehr wohl politisch interessiert sind.“ Die wichtigsten Themen für Nichtwähler sind Bildung, Gesundheitssystem und Rente. Eine viel geringere Rolle spielen für sie Mindestlohn, Energiewende oder Eurokrise.

Wo stehen Nichtwähler politisch? 30 Prozent der Nichtwähler sehen sich selbst als links, 13 Prozent als rechts, der Rest als „Mitte“: Das heißt, die Gesellschaft ist eigentlich weiter links, als es die Wahlergebnisse widerspiegeln. Auffallend ist auch: CDU/CSU-affine Nichtwähler sagen viel häufiger als SPD-Affine, sie seien zufrieden mit der Lage. Zugespitzt: Unions-Anhänger sparen sich den Gang an die Urne, weil eh alles passt – SPD-Anhänger, weil eh alles blöd ist. Allerdings gibt es auch auffällig viele Nichtwähler, die der Demokratie an sich skeptisch gegenüberstehen. Sie wollen eine Regierung, die sich kümmert. Ob sie von den Bürgern gewählt wird, ist ihnen – vergleichsweise – egal.

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.