Die starke Malu
Sie folgt auf Kurt Beck: Am Mittwoch will sich Malu Dreyer in Mainz zur neuen Regierungschefin wählen lassen.
MAINZ Ihr Lachen ist ansteckend, mädchenhaft. Kein Wunder, dass Malu Dreyer von Parteifreunden die „Gute-Laune-Ministerin“ genannt wird. Beliebt wie „Freibier und hitzefrei“ sei sie, die „Königin der Herzen“. Und heute folgt sie auf „König Kurt“: Die 51-jährige SPD-Politikerin wird in Mainz zur neuen Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz gewählt.
Für viele in Rheinland-Pfalz ist das noch immer eine Überraschung. Vor sechs Jahren hatten Politiker und Journalisten sie klammheimlich vom Nachfolge-Zettel gestrichen. Denn: Im Oktober 2006 war Malu Dreyer mit einem lange gehüteten Geheimnis an die Öffentlichkeit gegangen. Sie hat Multiple Sklerose. Die Nervenerkrankung (s. Kasten) war bei ihr vor 17 Jahren diagnostiziert worden. Zuerst dachte sie, die Schmerzen im Rücken kämen von einem Bandscheibenvorfall. Die Diagnose sei ein Schock gewesen, sagt sie.
Die Krankheit verläuft bei ihr schleichend, ist seit Jahren stabil. Lange hatte man gar nichts gemerkt. Doch dann bekam sie zunehmend Probleme beim Gehen, im Mainzer Landtag wurde schon getuschelt. Malu Dreyer zog die Reißleine und lud zur Pressekonferenz.
„Tapfer“ wurde sie anschließend in den Medien genannt. Tapfer, das ja – aber wohl nicht mehr im Rennen für den Chefposten. Wer das wirklich geglaubt hat, kennt Dreyer schlecht. „Ich lasse mich nicht behindern“, sagt die studierte Juristin. „Ich fühle mich kraftvoll und gesund.“ Auch für Kurt Beck war Dreyer stets die Wunschkandidatin für die Nachfolge. MS hin oder her. Im Sommer letzten Jahres, beim Besuch an der Mosel, sagte sie zu: Ich mach’s.
Mit ihrer Erkrankung geht sie offen um
Wer Malu Dreyer unterschätzt, macht einen Fehler. Seit mehr als zehn Jahren ist sie Gesundheitsministerin, ist damit die dienstälteste Landesministerin in diesem Ressort. Sie hat die Gesundheitsreform der Großen Koalition mitverhandelt, gilt als tough und durchsetzungsstark. Auf ihre Krankheit will sie nicht reduziert werden, aber sie geht offen mit ihr um. Jeden Morgen um sieben Uhr geht sie mit eiserner Disziplin zur Physiotherapie, seit Jahren.
Für kurze Strecken stützt sie sich bei Mitarbeitern auf. Für längere Wege nimmt sie den Rollstuhl. Nichts Besonderes. Wolfgang Schäuble, den sie ein Vorbild nennt, sitze ja auch im Rollstuhl. Dem stelle keiner die Frage, ob er leistungsfähig sei, sagt sie. „Behinderte Menschen gehören in die Mitte der Gesellschaft – nicht an deren Rand.“
Wie das praktisch geht, erlebt sie täglich daheim: Mit ihrem Ehemann, dem Trierer SPD-OB Klaus Jensen, und dessen drei Kindern aus erster Ehe wohnt sie in einem alternativen Wohnprojekt für Behinderte und Nicht-Behinderte, in Schammatdorf in Trier. Dort hatte Jensen schon mit seiner ersten Frau Helene gewohnt, die er bis zu ihrem frühen Krebstod pflegte. Malu Dreyer will auch als Ministerpräsidentin weiter in Schammatdorf wohnen bleiben. „Da bin ich nur die Malu“, erzählt Dreyer. Ihren eigentlichen Vornamen „Marie-Luise“ fand sie als 13-Jährige zu spießig und schaffte ihn kurzerhand ab.
Mit ihr wird Deutschland wieder ein Stück weiblicher
Wenn die einstige Staatsanwältin heute den Landesthron in Mainz erklimmt, wird die Bundesrepublik noch ein Stück weiblicher: Sie wird dann die insgesamt vierte Regierungschefin (neben Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland, Hannelore Kraft in NRW und Christine Lieberknecht in Thüringen). Die Kanzlerin natürlich noch nicht mitgerechnet. In der rheinland-pfälzischen Regierung sind die Männer auch in der Unterzahl: Malu Dreyer führt ein Kabinett aus fünf Frauen und vier Männern. Sie selbst kam über den Feminismus zur Politik.
Ihre Gegenspielerin in Rheinland-Pfalz ist ebenfalls eine Frau: Die Oppositionschefin und CDU-Vize Julia Klöckner, 39. Für sie ist die Wahl von Malu Dreyer ein strategischer Albtraum. Denn: Gegen den bräsig-bärtigen Kurt Beck konnte die forsche, blonde Julia Klöckner punkten. Jung gegen Alt, Frau gegen Mann, frischer Wind gegen abgestandenen Mief.
Doch mit Malu Dreyer wird sich Klöckner schwer tun. Dreyer ist bei den Rheinland-Pfälzern extrem beliebt, sie erfüllt die Rolle der Landesmutter schon jetzt perfekt. Und mit Beck-Altlasten wie dem maroden Nürburgring hatte sie auch nichts zu tun. „Ich werde einen undramatischeren und kommunikativeren Regierungsstil pflegen“, kündigt Dreyer an.
Kurt Beck ist glücklich mit seiner Nachfolgerin: „Die Zukunft des Landes ist bei ihr in guten Händen“, sagte er gestern. „Ich wünsche ihr, dass sie so bleibt, wie sie ist – dann wird alles gut“.