Die SPD sucht neue Wähler
Potsdam - Für Sigmar Gabriel sind die Gedanken frei. „Ich glaube, dass sich jeder in der SPD Gedanken machen darf, wie das 2017 möglicherweise aussieht“, sagt der SPD-Chef zum Vorstoß von zehn Vorstandsmitgliedern, jetzt schon an der Option Rot-Rot-Grün zu basteln. Neben ihm steht Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Sie sagt, wichtiger sei die Frage, „was wir unter einem qualitativen, intelligenten Wachstum verstehen“. Natürlich rede man mit allen Parteien, sie sehe das jetzt nicht so „strategisch-substanziell“.
Ja, da werden am Montag nach der Klausur der SPD-Spitze in Potsdam rhetorische Unterschiede deutlich. Hier der Politikprofi Gabriel, der geschickt den Vorstoß abbügelt und vorerst zum Unthema erklärt, dort die neue Frontfrau Fahimi, die sich verklausuliert äußert und sprachlich etwas holprig an die Bühne der Bundespolitik herantastet. Gabriel betont, jetzt gehe es ums Regieren in der Koalition mit der Union. „Es war weder Thema, noch gab es Beschlüsse dazu“, sagt er zum Abschluss der Klausur mit Blick auf das Papier der Parteilinken.
Berlins SPD-Chef Jan Stöß als ein Mitunterzeichner sagt hingegen: „Die Vorbereitungen dafür können nicht erst im Wahljahr beginnen.“ Und SPD-Vize Ralf Stegner, der ebenfalls zu den Initiatoren gehört, betont, es gehe nicht nur um Gespräche mit der Linken – sondern auch mit der FDP und den Grünen. „Die Grünen sind die Partei, die uns mit Abstand am nächsten steht.“ Nicht wenige fürchten, dass sie im Bund 2017 zur Union wechseln könnten. Dann wären sowieso alle Träume von Rot-Rot-Grün obsolet.
Hier große Koalition, da das Streben nach neuen Optionen – es ist ein Spagat. Als einen Fehler der letzten großen Koalition hat die SPD identifiziert, dass nicht klar war, wer wofür steht. Daher will sie nun umso lauter sagen, dass sie verantwortlich zeichnet für 8,50 Euro Mindestlohn, der schrittweise ab 2015 eingeführt werden soll. Oder für eine Mietpreisbremse. „Wir greifen ein, um bezahlbaren Wohnraum auch für die Menschen zu sichern, die ein normales Einkommen haben“, lobt sich die Spitze in einem Papier für die Klausur.
Gabriel geht seit Tagen die linke Frontfrau Sahra Wagenknecht an
Eine „Regierungskonferenz“ mit den SPD-Ministern am 6. April und 16 Regionalkonferenzen ab August sollen die eigenen Akzente in der Koalition werbewirksam unterstreichen. Doch die Abgrenzung von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist schwer, das dürfte schon der Europawahlkampf zeigen. Gabriel rechnet fest damit, dass die Union im Europawahlkampf wieder voll auf Merkel-Plakate setzen wird. Die meisten Bürger begrüßen Merkels Kurs mit strengen Sparauflagen für Krisenstaaten.
Eine bei der Klausur von Rita Müller-Hilmer vorgestellte Infratest-Analyse attestiert der SPD derzeit nur ein Ergebnispotenzial von 15 bis 25 Prozent, der Union von bis zu 43 Prozent. Nur 80 Prozent der SPD-Wähler der Bundestagswahl wollten sich bisher auch bei der Europawahl am 25. Mai zur SPD bekennen. Gerade eine unzureichende Mobilisierung von Nichtwählern könnte das Ergebnis verhageln.
Einigen Parteilinken wird derzeit zu viel über Einrichten in der schönen Regierungswelt geredet. Spannungspotenzial für die nächsten Monate, gerade wenn die Europawahl schlecht ausgehen sollte. „Die Koalition mit CDU und CSU ist keine Liebesheirat“, betonen die zehn Vorstandsmitglieder in ihrem Papier. Sie kritisieren, dass es zwar einen Parteitagsbeschluss mit der Öffnung für Rot-Rot-Grün 2017 gibt - aber dazu müssten auch ernsthafte Kontakte zur Linken aufgebaut werden. Gabriel hingegen geht besonders Linksfraktionsvize Sahra Wagenknecht seit Tagen an, wirft ihr Populismus und Europafeindlichkeit vor.
Die SPD-Spitze setzt erstmal auf neue Mitmach-Optionen via Internet und den Aufbau von „Themenlaboren“. Es gehe um Gesprächsforen zu relevanten Gesellschaftsthemen, sagt Fahimi. „Jenseits der Sachzwänge der Regierungsarbeit.“ Der bisherigen Gewerkschaftsfunktionärin könnte bei der Suche nach neuen Bündnispartnern eine Schlüsselrolle zukommen, auch weil Gabriel als Wirtschaftsminister gut zu tun hat. Doch sie will erst mal abwarten, wie sich die Linke, aber auch die FDP entwickeln. „Das alles werden wir beobachten und uns damit auseinandersetzen“, verkündet Fahimi, bevor es zurück nach Berlin geht.