Die SPD straft ihre Spitze ab
LEIPZIG An der SPD-Basis herrschen Frust und Wut – und sie hat sich gestern auf dem Parteitag ein Ventil gesucht. Bei den Vorstandswahlen hat fast die gesamte Parteispitze harsche Denkzettel erhalten. Am meisten wurden Generalsekretärin Andrea Nahles (die den Wahlkampf organisiert hat) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (der am lautesten für eine große Koalition wirbt) abgestraft – aber auch Hannelore Kraft.
Am Donnerstag traf es Parteichef Sigmar Gabriel mit 83,6 Prozent. Aber die Delegierten hatten sich damit längst nicht abreagiert. Nahles kam bei ihrer Wiederwahl nur auf 67,3 Prozent – Minusrekord. Sie wirkt getroffen. Monatelang hat sie Mann und Tochter kaum gesehen, in den schwarz-roten Gesprächen ist sie mit dem Mindestlohn auf der vielversprechendsten Spur bei den roten Kernthemen, aber es half nichts. Schatzmeister Barbara Hendricks: „So hättet ihr mit Andrea nicht umgehen sollen.“ Prompt sackte auch Hendricks von 88,3 auf 79,5 Prozent.
Die größten persönlichen Verluste verzeichnete Olaf Scholz: Er rutschte von 84,9 Prozent vor zwei Jahren auf 67,3 Prozent ab. Aber auch alle anderen stellvertretenden Parteivorsitzenden büßten gegenüber früheren Ergebnissen ein: Hannelore Kraft kam nur noch auf 85,6 Prozent, Manuela Schwesig auf 80,1 und Aydan Özoguz auf 79,9. Noch am besten schnitt mit 88,9 Prozent der Newcomer Thorsten Schäfer-Gümbel aus Hessen ab, Nachfolger von Klaus Wowereit als SPD-Vize.
Aber die Denkzettel-Orgie ging noch weiter. Bei den Wahlen zum erweiterten Bundesvorstand fielen zahlreiche Landeschefs, darunter der Bayer Florian Pronold, gleich ganz durch: Sie erhielten im ersten Wahlgang nicht mal die Hälfte der Stimmen. Sie wollten aber einen zweiten Anlauf wagen.
Die Stimmung war angespannt auf dem Parteitag in Leipzig. Die Basis befürchtet, dass die Spitze eine große Koalition eingeht, und die Spitze befürchtet, dass die Basis sie daran hindert. Das wurde auch am Ergebnis für den Leitantrag deutlich, der eine Option für ein Bündnis mit der Linken öffnet: Es gab nur eine einzige Gegenstimme. CDU-Vizechefin Julia Klöckner. „Das ist so, als ob ein Partner kurz vor der Hochzeit noch eine Kontaktanzeige aufgibt. Die SPD soll lieber gleich sagen, wenn sie nicht will.“
Die Führung jedenfalls will. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warb in seiner Rede eindringlich dafür. „Wir dürfen nie Angst vor der Verantwortung und nie Angst vor dem eigenen Versagen haben.“ Er rief die Mitglieder auf, ihre Entscheidung nach den Inhalten zu treffen. „Die Verärgerung und Verbitterung über ein Wahlergebnis darf kein Maßstab sein.“
Bei den Debatten wurde in der Tat eine tiefe Verunsicherung deutlich, wohin die Partei streben soll. Der Delegierte Roman Götzmann sagte, er habe sich Orientierung und Motivation vom Parteitag erhofft. Jetzt ist es eher das Gegenteil. „Wir sind zwischen Baum und Borke.“