Die SPD nach dem Hessen-Desaster: „Aufholjagd? Das wird schwierig“

Nach der Hessenwahl: Der renommierte Göttinger Parteienforscher Franz Walter spricht im AZ-Interview über die Sozialdemokraten im Jammertal, Volksparteien im Niedergang und den Triumph von Guidos FDP
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Angezählt, aber angriffslustig: SPD-Chef Franz Müntefering.
AP Angezählt, aber angriffslustig: SPD-Chef Franz Müntefering.

BERLIN - Nach der Hessenwahl: Der renommierte Göttinger Parteienforscher Franz Walter spricht im AZ-Interview über die Sozialdemokraten im Jammertal, Volksparteien im Niedergang und den Triumph von Guidos FDP

AZ: Herr Professor Walter, nach diesem furiosen Fehlstart ins Superwahljahr: Ist die Bundestagswahl für die SPD schon verloren?

FRANZ WALTER: Es wird jedenfalls schwieriger als 2002 oder 2005, noch so etwas wie eine Aufholjagd zu organisieren. Die Genossen haben diesmal keine plausible Argumentation. Zwar reden sie gerne von der Rückkehr sozialdemokratischer Themen, aber gleichzeitig wollen sie ausgerechnet in ein hochkompliziertes Dreierbündnis mit der FDP, die am weitesten weg von diesen Themen ist. Das kann nicht funktionieren.

Nicht viel zu spüren vom Münte-Effekt...

Der Münte-Effekt ist eine Chimäre. Und mit einer Chimäre lassen sich strukturell tiefsitzende Defizite natürlich nicht in Luft auflösen.

Und Frank-Walter Steinmeier? Schafft der glaubwürdig den Spagat zwischen aggressivem Kanzlerkandidat und koalitionstreuem Vizekanzler?

Der Absturz der SPD jetzt in Hessen hat nichts mit Steinmeier zu tun. Im Übrigen: Eine solche Doppelrolle ist nicht einfach zu spielen, aber Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher haben das auch schon hingekriegt.

Niedrigste Stimmenkonzentration auf die Volksparteien seit 1951

23,7 Prozent im ehemaligen Stammland Hessen: Ist die SPD als Volkspartei erledigt?

Für immer erledigt muss nicht sein. Vor zwölf Monaten gab es auch eine durchaus erheblich Steigerung, die man dann nur schnell verspielt hat. Aber die Werte jetzt sind nicht mehr „volksparteilich“. Klar.

FDP und Grüne sind satt zweistellig, CDU und SPD kommen zusammen nur noch auf 61 Prozent: Erleben wir eine grundlegende Verschiebung im Parteiensystem – weg von den Volksparteien und vom schwarz-roten Dualismus?

Wir haben in Hessen am Sonntag jedenfalls die niedrigste Stimmenkonzentration auf die Volksparteien in einem westdeutschen Bundesland seit 1951 erlebt. Die „kleinen Parteien“ liegen nun bei etwa 35 Prozent. Keine Frage: Hier tut sich richtig was.

Die FDP ist die Prätorianergarde für Märkte, Eigentum und Gewinne

Wie erklären Sie sich den Mega-Erfolg der FDP? Ist der hausgemacht oder sind die Liberalen Krisengewinnler?

Ein bisschen kennt man das aus der Geschichte. Gerät das Wirtschaftsbürgertum in Bedrängnis, schart es sich hinter die Partei, die sich als Prätorianergarde für Märkte, Eigentum und Gewinne anbietet. Heute ist das die FDP.

Sehen Sie die Gefahr, dass Westerwelle jetzt schon wieder hochmütig wird?

Wenn er so triumphalistisch ins Mikro spricht, könnte man das denken. Aber Westerwelle ist ja parteipolitischer Profi durch und durch, hat nie groß etwas anderes gemacht und kennt daher alle Tiefen und Widrigkeiten des Geschäfts. Ein juveniler Springinsfeld ist er nicht mehr.

Die Koch-CDU hat auf niedrigem Niveau verharrt. Hätte sie mit Kanzler-Bonus und Ypsilanti-Malus nicht viel stärker sein müssen?

Naja: Zusammen hat das schwarz-gelbe Lager jetzt in allen bedeutenden Flächenländern eine feste Kabinettsmehrheit. Das ist die Arbeitsteilung, die offenkundig aufgeht: Die CDU tritt nicht radikalreformerisch auf, bietet in Folge dessen aber auch keine Angriffs- und Mobilisierungsfläche für die SPD. Die über die CDU deswegen frustrierten ökonomisch orientierten Bürger gehen zur FDP. Zusammen ergibt das eine Mehrheit, die man 2002 und 2005 im Bund nicht erreichte.

Die Grünen sind eine Art tragischer Gewinner in Hessen – jetzt hocken sie wieder nur in der Opposition...

Ach Gott, was heißt tragisch? Die Grünen haben die postmaterialistischen Grenzwähler zur SPD zurückgeholt. Und von den vielen Nichtwählern profitiert. Aber Neues gewinnen sie nicht hinzu. Sie haben es einfach nicht geschafft, was sie sich zum Ziel gesetzt haben: die FDP als Funktionspartei im Zentrum des Parlamentarismus abzulösen. Das ist nicht tragisch, sondern eine eigene Fehlleistung.

Interview: Markus Jox

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