Die SPD auf dem Tiefpunkt - Doch Steinmeier wirft nicht hin
BERLIN - Plötzlich ist Opposition gar kein Mist mehr: Nach der Wahlniederlage am Sonntag wollen Frank-Walter Steinmeier als Fraktionschef und Parteivorsitzender Franz Müntefering weitermachen.
Es ist eine gespenstische, gruselige Szene im Foyer des Willy-Brandt-Hauses. Als SPD-Chef Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier um 18.30 Uhr vor ihre Anhänger treten, brechen die in verkrampften Jubel aus. Quälende Minuten lang. Münte und Steinmeier stehen geschlagen, aber irgendwie auch aufrecht da. „Unser Land kann mehr“, schreit der Slogan hinter ihnen – und wirkt wie ein böser, zynischer Kommentar. Der alte Willy Brandt, dem sie in der Parteizentrale ein Denkmal gebaut haben, blickt versteinerter und skeptischer drein denn je.
Als er zu Wort kommt, räumt Steinmeier unumwunden seine „bittere Niederlage“ ein. „Das ist ein bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie“, sagt der Mann, unter dessen Führung die Genossen das schlechteste Wahlergebnis seit Gründung der Bundesrepublik 1949 eingefahren haben. 23 Prozent. Zur Trauer des Abends hat sich der Vizekanzler a.D. eine schwarze Krawatte umgebunden.
Seit dem Nachmittag hat er im fünften Stock der Parteizentrale mit Müntefering zusammengesessen und an einer Sprachregelung für die Öffentlichkeit gebastelt. Steinmeier soll signalisieren, dass er sich nicht drückt, gerade jetzt nicht. Also hebt er tapfer an: „Ich habe gerne Verantwortung als Spitzenkandidat getragen, weil ich stolz bin auf diese Partei und ihre 146-jährige Geschichte.“ Die Frauen und Männer an der Spitze der SPD hätten „immer dann gestanden, wenn Krisen in Deutschland zu überstehen waren“, sagt er, „und ich verspreche Ihnen, das wird auch in Zukunft so sein“. Auf das Genossen-Du verzichtet der geschlagene Kandidat in dieser bitteren Stunde besser. Dann kommt endlich der Satz, auf den sie lange gewartet haben: „Ich werde aus der Verantwortung nicht fliehen, sondern als Oppositionsführer im deutschen Bundestag meinen Beitrag dazu leisten, dass die SPD zu alter Stärke und alter Kraft zurückkehrt.“
Im Klartext heißt das: Steinmeier wirft nicht hin, sondern will sich am Dienstag zum Fraktionschef der SPD-Fraktion wählen lassen. Auf seine Partei komme nach elf Jahren an der Regierung eine neue Rolle zu, sagt er trocken – und schlüpft sogleich in die Rolle des Angreifers: „Union und FDP müssen jetzt beweisen, dass sie es können – und ich habe meine Zweifel, dass sie es können.“ Es dürfe „keinen Marsch zurück in die 90er Jahre und in die Kernenergie geben“.
Auch Parteichef Müntefering bezeichnet die Opposition an diesem Abend ausnahmsweise nicht mehr als „Mist“: „Der Souverän hat entschieden: Die Sozialdemokraten werden in der Opposition sein in den nächsten vier Jahren im Bundestag“, formuliert er staatstragend. Parteiintern gebe es sicher „Diskussionsbedarf darüber, wohin die Reise geht“, schwant dem alten Herrn.
Da lassen sich die Präsiden nicht lange bitten: „Die Partei muss sich nun fragen, was inhaltlich falsch gemacht worden ist“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der als einer der Protagonisten einer SPD nach der Generation Müntefering gilt und der seit Jahren recht geräuschlos mit der Linkspartei regiert. In der Opposition werde die SPD jetzt „ihr soziales Profil schärfen“ müssen.
Noch deutlicher wird die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel: „Die SPD braucht einen radikalen Erneuerungsprozess, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder zurückzugewinnen.“ Es könne kein ,Weiter so' geben. Die SPD müsse endlich zeigen, dass sie „tatsächlich für ein Schließen der Schere zwischen Arm und Reich steht“. Auf die Frage nach Münteferings Zukunft an der Spitze der Partei gibt sich Wowereit am Wahlabend sehr einsilbig: „Er kann das natürlich bleiben.“
Münte selber weist sybillinisch darauf hin, er habe gesagt, dass er beim nächsten Parteitag wieder antreten werde. „Und alles, was ich dazu gesagt habe, gilt auch.“ Zum Abschied ruft er den traurigen Anhängern im Willy-Brandt-Haus zu: „Schönen Abend miteinander – und wir sehen uns bald wieder in der Politik.“
Markus Jox