Die Sekunde des Glücks

Drei Jahre lang war Ingrid Betancourt angekettet in einem Versteck im kolumbianischen Dschungel. Die psychischen Folgen sind noch ungewiss. Jetzt ist ein erschütterndes Video von ihrer Befreiung aufgetaucht.
PARIS Extreme Gefühle live: Von der Befreiung von Ingrid Betancourt gibt es nun ein Video, das auch den Moment festhält, in dem sie erfährt, dass sie nach fast sieben Jahren Geiselhaft frei ist – ihr Gesicht ist von Freude und Schmerz zerrissen. Die kolumbianische Regierung hat es veröffentlicht, um den Berichten entgegenzutreten, die spektakuläre Befreiungsaktion sei gefälscht gewesen und statt dessen sei Lösegeld geflossen.
Zunächst sieht man Betancourt und 14 weitere Geiseln, wie sie apathisch bis aggressiv zu einem Hubschrauber geführt werden – in der Annahme, es gehe nur in ein weiteres Camp. Doch die Hubschrauber-Crew und die begleitenden Journalisten sind Agenten, extra von US-Schauspielern geschult, wie am Wochenende bekannt wurde. Dass die Kameraleute keine Profis sind, merkt man auch deutlich an der extrem schlechten Bildqualität.
"Daran war nichts gefälscht“
Auch Betancourt ist überzeugt, dass die Aktion echt war: „Ich habe Cesar gesehen, den Farc-Kommandanten, der jahrelang für mich zuständig war. Ich habe gesehen, wie er nach seiner Überwältigung im Hubschrauber zitternd am Boden lag. Daran war nichts gefälscht“, sagte die 46-Jährige jetzt in Frankreich, wo sie aufgewachsen ist.
Ihr Auftritt dort rührte das ganze Land. Auch die Premiere Dame Carla Bruni wischte sich Tränen aus dem Gesicht, als Ingrid Betancourt bei einem Staatsempfang von ihren Jahren in Geiselhaft erzählt. „Der Glaube an Gott hat mich gerettet“, sagte sie. Und der Gedanke an ihre Kinder.
Mehrfach war sie schwerkrank, dachte an Selbstmord: „Aber der Geist hilft, dass der Körper durchhält.“ In ihren schlimmsten Phasen kümmerte sich der Mitgefangene William Perez, ein ausgebildeter Krankenpfleger, um sie. „Als ich nicht mehr essen wollte, hat er mich gefüttert: ein Löffel für Melanie, ein Löffel für Lorenzo.“ Der Gedanke an ihre Kinder habe sie durchhalten lassen. „An ihren Geburtstagen habe ich im Dschungel für sie gesungen“, sagte Betancourt.
Gewaltmärsche, Erniedrigungen, sexuelle Gewalt
Sie erzählte von den Gewaltmärschen durch den Dschungel, barfuß. Von Erniedrigungen, über die sie nicht sprechen könne. Von den ersten drei Jahren in Ketten, von denen sie heute noch Narben hat. Ob sie Opfer von sexueller Gewalt war? „Die Anwesenheit einer Frau unter so vielen männlichen Gefangenen, die seit acht oder zehn Jahren in Haft sind, ist natürlich ein Problem“, sagt sie und will nicht näher darauf eingehen.
Doch von Hass oder Verbitterung ist wenig zu spüren, im Gegenteil. Alle, die sie sehen, sind fasziniert, wie viel Energie und Glück diese Frau ausstrahlt. Auch gesundheitlich geht es ihr erstaunlich gut: Am Wochenende ließ sie sich in einer Pariser Klinik durchchecken. „Ich wurde mit guten Nachrichten überhäuft“, sagte sie hinterher strahlend. Die Ärzte hätten allerdings dringend zu mehr Erholung geraten. Seit ihrer Befreiung hat sie so gut wie nicht geschlafen – so viel nachzuholen nach sechs Jahren Hölle.