Die Sehnsucht nach dem Heiligen Franz
Rechte schießen gegen Linke und die Chefs versuchen hektisch, die Genossen zu beruhigen: Bei der SPD ist Feuer unterm Dach. Kommt jetzt Urgestein Franz Müntefering zurück? Manchen gilt der 68-Jährigen noch immer als ein Tiger im Käfig: „Wenn man ihn loslässt, wird er der Partei nutzen."
Von Markus Jox
Auf der Berliner Sommertheater-Bühne wird heuer ein sozialdemokratisches Trauerspiel gegeben. Die Themen des Polit-Dramas: Bleibt die SPD regierungsfähig? Driftet sie nach links ab? Und: Kommt Urgestein Franz Müntefering zurück, um den zerstrittenen Haufen zu versöhnen?
Seit die Landes-Schiedskommission der NRW-SPD am vergangenen Mittwoch beschlossen hat, den Ex-„Superminister“ Wolfgang Clement wegen eines schweren Verstoßes gegen die innerparteiliche Solidarität aus der SPD zu kegeln, ist in der Partei Feuer unterm Dach. Rechte schießen gegen Linke, der Ypsilanti-Flügel macht gegen Seeheimer und Netzwerker mobil, und die Basis misstraut der Führung.
In einer hektisch einberufenen Telefonschaltkonferenz haben nun am Montag Präsidium und Vorstand der SPD entschieden, sich direkt in das schwebende Parteiordnungsverfahren gegen Clement vor der Bundesschiedskommission einzuschalten. Generalsekretär Hubertus Heil nimmt ab sofort als Bevollmächtigter des Vorstands an den Verhandlungen teil und will dort „Brücken bauen zwischen Clement und den klagenden Ortsverbänden“. Die erste Sitzung des Gerichts dürfte freilich frühestens im September stattfinden – der SPD-interne Zoff wird also für Stoff bis zur Landtagswahl in Bayern sorgen.
Sowohl Heil als auch SPD-Chef Kurt Beck wiesen Clements Darstellung zurück, das Verfahren sei mit dem Richtungstreit um die Agenda 2010 verknüpft. Es gehe nicht um Meinungen, sondern um Clements Verhalten vor der Hessen-Wahl, sagte Heil. Der Ex-Minister solle gefälligst mehr Entgegenkommen zeigen: „Ich weise darauf hin, dass Brücken von beiden Seiten betreten werden müssen.“ Am Wochenende hatte Clement ein Kompromissangebot aus NRW brüsk abgelehnt. Er hätte künftig nicht mehr gegen die Wahl der SPD aufrufen dürfen und wäre und mit einer Rüge davongekommen.
Schon wird angesichts der schweren Krise eine Rückkehr von Ex-Parteichef Franz Müntefering als Übergangsvorsitzender diskutiert: „Müntefering ist der einzige, der die SPD aus der Misere führen kann", so Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner. Die SPD sei gut beraten, ihn anstelle Becks zum SPD-Chef und Kanzlerkandidaten zu machen. Der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte vergleicht den 68-Jährigen mit einem Tiger im Käfig: „Wenn man ihn loslässt, wird er der Partei nutzen." Selbst führende Genossen raunen hinter vorgehaltener Hand, dass ein Parteichef Müntefering und ein Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier „doch ein prima Team“ wären.
Müntefering hatte sich im November 2007 von der vordersten Polit-Front zurückgezogen, um bei seiner schwerkranken Frau zu sein und sie zu pflegen. In der vorigen Woche ist Ankepetra Müntefering ihrem Krebsleiden erlegen. Nach einer gewissen Trauerzeit, mutmaßt nun das politische Berlin eifrig, könnte „Münte“ ganz auf das Hauptstadtparkett zurückkehren.
Alarmiert hatten die Strippenzieher im Willy-Brandt-Haus schon zur Kenntnis genommen, dass Müntefering der erste Grande war, der sich öffentlich hinter den Ausgestoßenen stellte: „Wolfgang Clement gehört zur SPD“, zeigte Münteferings klare Kante: „Besonnenheit ist angesagt.“
Bereits im März hatte sich Müntefering mit einem Fanfarenstoß im SPD-Machtkampf zurückgemeldet. Im seinem Bonner Privathaus setzte er sich an die alte Schreibmaschine und hackte einen geharnischten Brief an Beck und dessen Vizes herunter: „Der Fehler ist gemacht“, lautete der erste Satz der 24 Seiten langen Abrechnung mit dem Schlingerkurs der Spitze. Die SPD müsse eine Zusammenarbeit mit der Linken nach der Wahl 2009 kategorisch ausschließen, forderte Müntefering und fügte mit hintersinnigem Blick auf die K-Frage hinzu: „Das muss sich auch in den Personalentscheidungen der SPD klar abzeichnen.“
Bei allen romantischen Gerüchten um ein Comeback des Heiligen Franz aus dem Sauerland sollte man indes nicht verdrängen, dass eine große Mehrheit der Beck-SPD auf dem Hamburger Parteitag im Herbst 2007 links am Ex-Vizekanzler vorbeigezogen ist. Müntefering unterlag damals krachend mit seinem Versuch, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes zu verhindern. Der Gralshüter der Agenda 2010 war schwer angeschlagen, die Spaltung der SPD zeichnete sich bereits ab.
Kurt Beck bestreitet das bis heute: „Es ist Unfug, wenn von einer angeblichen Zerrissenheit der SPD gesprochen wird“, pampte er gestern bei einem Werftbesuch in Wolgast. Sowohl bei der Weiterentwicklung der Agenda 2010 als auch bei der Energiepolitik sei sich die SPD total einig.
Solche Äußerungen klingen freilich wie ein Pfeifen im Wald – längst droht der Partei neues Unheil: In der SPD-Spitze wächst die Sorge, Hessens Landeschefin Ypsilanti könnte einen zweiten Versuch unternehmen, sich mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Nach wie vor gelte in der SPD der Beschluss, dass über Koalitionen in den Landesverbänden entschieden wird, sagte Beck gestern „Hüh“. Das „Hott“ des Pfälzers folgte auf dem Fuße: „Bei dieser Entscheidung ist natürlich auch die Gesamtverantwortung für die Partei zu berücksichtigen.“