Die rote Rampensau

Nach dem Debakel der SPD macht der Niedersachse Blitzkarriere.
von  Abendzeitung
Sigmar Gabriel, künftiger SPD-Parteichef.
Sigmar Gabriel, künftiger SPD-Parteichef. © dpa

Nach dem Debakel der SPD macht der Niedersachse Blitzkarriere.

Jetzt muss es also tatsächlich der Dicke machen. Der „Harzer Roller“, wie sie den Sozi aus Goslar in Niedersachsen nennen. In Berlin sagen die Genossen: „Der ist unsere Rampensau, der kriegt die Bierzelte wenigstens noch voll."

Sigmar Gabriel wird neuer SPD-Vorsitzender. Nächste Woche sollen das die Führungsgremien absegnen, und die Mitglieder dürfen auf dem Parteitag Mitte November nur noch abnicken, dass der 50-Jährige, der dann nicht mehr Bundesumweltminister sein wird, die Nachfolge Franz Münteferings antritt. Am Mittwoch haben die mächtigsten Sozis aus Bund und Ländern in Klüngelrunden die Tandemlösung abgesegnet, die seit Montag durchs Berliner Regierungsviertel schwirrte (AZ berichtete): Gabriel soll den Chef machen, ihm zur Seite gestellt werden die Partei-Linke Andrea Nahles als Generalsekretärin sowie der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, NRW-Landeschefin Hannelore Kraft, Meckpomms junge Sozialministerin Manuela Schwesig und Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz als Stellvertreter (siehe unten).

Die Neuaufstellung der SPD-Spitze ist eine Operation am offenen Herzen der komatösen Partei. Wie schlimm es um die SPD bestellt ist, zeigt das bizarre Gespann Gabriel-Nahles: Der bullige, machtbewusste und rhetorisch hochbegabte Niedersachse und die bestens im Partei-Apparat vernetzte, funktionärige Ex-Juso-Chefin sind sich seit langem in herzlicher Abneigung verbunden. Noch 2007 soll die Linke Nahles hinter den Kulissen mit gewerkelt haben, dass der Schröderianer Gabriel aus dem SPD-Präsidium flog.

Jetzt wollen sie sich zusammenraufen. Bereits am Montag, wenige Stunden nach dem Wahlabend, schmiedeten Gabriel und Nahles ihren Pakt im Willy-Brandt-Haus, verschworen sich gegen ein einfaches Weiter-so. „An so einem Tag liegt ganz viel Macht auf der Straße, und dann braucht man auch welche, die diese Macht schnell aufheben und an sich reißen", sagt ein SPD-Insider. Gabriel und Scholz seien es schließlich gewesen, schreibt der „Tagesspiegel", die Steinmeier in einem Sechs-Augen-Gespräch deutlich gemacht hätten, dass er es sein lassen müsse mit dem Parteivorsitz. Als Fraktionschef wollen sie ihn weitermachen lassen. Sollte er in der Legislaturperiode abtreten, könnte Nahles auch dieses Amt übernehmen.

Er war „Siggi Pop“ und „die Biotonne“ – es machte ihm nichts aus

Lang galt Gabriel als Temperamentsbolzen, als cholerisch, unberechenbar, vor allem als unstet: „Der ist ein bisschen flippig, so wie bei euch in Bayern der Seehofer", sagt ein Genosse in Berlin. Meint er damit, dass Gabriel populistisch ist, seine Meinung andauernd ändert? „Ich würde sagen, der Sigmar ist eben flexibel.“

Unstrittig ist, dass das Scheidungskind Gabriel - seine Mutter arbeitete als Krankenschwester - das politische Geschäft mit Leidenschaft betreibt und langen Atem hat. Auch den Genüssen des Lebens ist Gabriel nicht abhold: Gelegentlich gönnt er sich schon mal eine Zigarette, seine Lebensgefährtin ist 15 Jahre jünger als er.

Als er 2003 als Ministerpräsident von Niedersachsen abgewählt wurde und von Gerhard Schröder zum Popbeauftragten des SPD-Präsidiums gemacht wurde, lästerte die Republik über „Siggi Pop". Der rappelte sich unverdrossen wieder auf, 2005 machte Franz Müntefering den Sozialkundelehrer zum Bundesumweltminister - plötzlich hieß er „Bio-Tonne", doch auch das machte Gabriel nichts aus: Er arbeitete sich in die Materie ein. Im Wahlkampf war er der einzige Sozialdemokrat, der eine schlagkräftige, gelegentlich hart an der Grenze zur Tatsachenverdrehung entlangschrammende Kampagne fuhr - gegen die Rückkehr zur Atomenergie. Keine Talkshow war vor Gabriel sicher, überall schlug er sich prächtig, heimste viel Applaus ein. Der Lohn: erst einmal das Direktmandat im Wahlkreis Wolfenbüttel, beeindruckende 44,9 Prozent fuhr Gabriel dort ein. Auf einen Platz auf der Landesliste hatte die Spielernatur verzichtet.

Markus Jox

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