Die Rache des alten Fuchses
MÜNCHEN - Mit seinem seltsamen Rücktritt hat Michael Glos Bundeskanzlerin Angela Merkel schockiert und seinen Parteichef Seehofer blamiert. Wer neuer Wirtschaftsminister wird, soll am Montag entschieden werden: entweder Carl-Theodor zu Guttenberg oder Georg Fahrenschon.
Sein Feldzug gegen Horst Seehofer dauerte keine 30 Stunden. Seit Sonntagabend steht fest: Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat sich „durchgebockt“. Er darf doch zurücktreten. Heute wird er Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel um seine Entlassung bitten. Danach wird Bayerns Ministerpräsident seinen Nachfolger vorstellen: Das ist entweder der bisherige CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg (37) oder der bisherige bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon (40). Sie wären jeweils die jüngsten Wirtschaftsminister der Republik und jüngsten Ressortchefs am Kabinettstisch. Generalsekretär könnte der Europaabgeordnete und niederbayerische CSU-Chef Manfred Weber (36) werden. Der Oberbayer Fahrenschon müsste durch einen weiteren fränkischen Minister in München ersetzt werden.
Das Personalkarussell nahm am Samstagnachmittag Fahrt auf – angeschoben durch Glos: „Jetzt zeig’ ich’s dir mal“, mag sich der amtsmüde Wirtschaftsminister gedacht haben. „Was du kannst, das kann ich schon lange.“ Ein böses Spiel über Bande beginnt. Glos schickt ein Fax an die Münchner Staatskanzlei, das CSU-Chef Horst Seehofer ein Albtraum-Wochenende bescheren sollte. Mitten in der Sicherheitskonferenz, als der bayerische Ministerpräsident sich als Gastgeber gerade im Licht der internationalen Öffentlichkeit sonnen will, knipst ihm Glos das Licht aus – mit einem einzigen Satz: „Ich bitte dich, mich von meinen Ministerpflichten zu entbinden.“ Es ist die Rache des alten Fuchses.
Seehofer sitzt da noch völlig ahnungslos im Bayerischen Hof und bewundert die Rhetorik des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy: „Der liegt Klassen über mir.“ Dass Glos hinwirft, erfährt Seehofer von Journalisten. Ein Schock für den CSU-Chef. Ein Schlag in die Magengrube, der ihm den Appetit auf Perlhuhnbrüstchen mit Aprikosen und Chili beim Staatsbankett in der Residenz gründlich verdirbt. In diesem Moment muss er erkennen: Es gibt noch einen, der seine Klasse hat – in Sachen politischer Intriganz.
Es ist keineswegs alleine die Amtsmüdigkeit, die Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (64) zu diesem Rücktritts-Brief bewegt. Es ist der Kampf der schwarzen Alphatiere: der Unterfranke gegen den Oberbayern. Wenn Glos einfach nur hätte gehen wollen, hätte er das nur der Kanzlerin mitteilen müssen. Doch der alte Haudegen wählt einen anderen Weg. Er weiß: Seehofer hat an diesem Samstag keine andere Wahl! Er muss den Kotau machen! Er muss ihn bitten, Wirtschaftsminister zu bleiben! Auch wenn Glos am Ende nicht mehr zu halten ist.
Für diesen Racheakt verzichtet Glos sogar auf Geld. Bei vorzeitigem Amtsverzicht gibt’s keine Ministerpension. Aber die fällt bei einem Abgeordneten mit acht Legislaturperioden kaum ins Gewicht. Sein Schachzug geht voll auf – als einziger in der Amtszeit des Wirtschaftsministers. Glos schwebt am Abend in Wiesbaden auf dem „Ball des Sports“ übers Parkett. Seehofer kocht in der Münchner Staatskanzlei vor Wut. Er ist handlungsunfähig. Sichtlich gezeichnet tritt er kurz vor die schwere Stahltür, lehnt mit hochrotem Kopf einen Rücktritt ab: „Michael Glos hat mein Vertrauen.“
In diesem Moment sind alle miteinander beleidigt. Michael Glos mit seinem Parteichef und auch mit Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel, weil er sich seit Wochen von beiden gemobbt fühlt. Horst Seehofer mit dem Wirtschaftsminister, weil der ihn mit seinem Rücktrittsgesuch in die Enge getrieben hat und er mangels Masse und Regionalproporz in der CSU nicht sofort einen Nachfolger findet. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Michael Glos und Horst Seehofer, weil sie jetzt, sieben Monate vor der Bundestagswahl auf keinen Fall einen neuen Wirtschaftsminister im Kabinett und damit eine Vorfestlegung mag. Das Wirtschaftsministerium hat sie nämlich der FDP versprochen, falls Schwarz-Gelb die Wahl gewinnt.
Dass das schwarze Politdrama um einen CSU-Wirtschaftsminister, der mitten in der größten Wirtschaftskrise hinwirft, nicht nur CSU-Chef Seehofer in München, sondern auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung in die Krise stürzt, nimmt Glos billigend in Kauf. Denn auch mit der Kanzlerin hat der alte Fuchs ein Hühnchen zu rupfen. Als sie in der Opposition saßen, waren sie ein Herz und eine Seele. Als Angela, mit der er schon so lange per Du ist, Kanzlerin wurde, und er als Wirtschaftsminister für Edmund Stoiber einspringen musste, hatte sie nur noch Augen für einen anderen: Mit SPD-Finanzminister Peer Steinbrück rettete sie in nächtlichen Sitzungen die Bankenwelt. Glos lud sie erst gar nicht ein, obwohl der ein Konjunkturprogramm in der Schublade hatte.
Noch schlimmer trifft ihn das „friendly fire“ aus München: die Giftpfeile von Horst Seehofer, weil Glos als Wirtschaftsminister in Berlin glücklos und angeschlagen sei. Dabei hatte Glos schon vor drei Monaten, als Seehofer Parteichef und Ministerpräsident wurde, angeboten, er könne auch über sein Amt verfügen und die CSU im Berliner Kabinett neu ausrichten. Damals wollte Seehofer nicht.
Seit Wochen ist das Verhältnis der beiden zerrüttet. Das Fass zum Überlaufen bringt ein Artikel im „Donaukurier“, Seehofers Heimatzeitung in Ingolstadt. Sie schildert, dass der CSU-Chef den Schrobenhausener Unternehmer und CSU-Schatzmeister Thomas Bauer zum Wirtschaftsminister machen wolle. Bauer bestätigt, dass Seehofer ihn darauf angesprochen hat, ob er Interesse an einem höheren politischen Amt habe.
Aber erst nach der Bundestagswahl. Denn jetzt ist Seehofer im Koordinaten-Korsett der Partei gefangen. Sofort einen Nachfolger für Glos zu finden stellte sich als eine schwierige Sache heraus: Bauer kommt nicht in Frage. Nicht nur, dass dem Unternehmer in dieser schwierigen Zeit jegliche politische Erfahrung in Berlin fehlt. Er ist Oberbayer, quasi aus Seehofers Nachbarschaft. Schon wieder ein Austausch eines Franken gegen einen Oberbayern. Kein kluger Schritt nach der Umsiedlung von Monika Hohlmeier. Und im Bundeskabinett sitzt mit Agrarministerin Ilse Aigner schon eine Oberbayerin. Das ist auch das Problem für Parteivize und Landesgruppenchef Peter Ramsauer, der als Spitzenkandidat die CSU in den Bundestagswahlkampf führt. Auch er ist Oberbayer. Und: Er will nicht, lehnt ab. Am Ende bleiben nur noch Guttenberg – und überraschend doch noch ein Oberbayer: Georg Fahrenschon. Sollte der nach Berlin wechseln, muss Seehofer sein ganzes Kabinett umbilden und einen weiteren Franken in seine Münchner Mannschaft holen.
Aus der Ferne nimmt Franke Glos Seehofers Volten zur Kenntnis: Während Seehofer Personal sucht und sichtet, ist er auf einem Neujahrsempfang der CSU in Marktleuthen im Fichtelgebirge – ganz entspannt. Auch wenn er als Wirtschaftsminister untergegangen ist – am Ende hat er es ihnen nochmal richtig gezeigt.
Angela Böhm