Die Pippi-Langstrumpf-FDP

Außer den Liberalen will niemand mehr die versprochenen Steuersenkungen durchsetzen. Paradox: Noch nicht mal die eigenen Wähler sind noch für das 24-Milliarden-Euro schwere Programm. Doch die FDP kümmert das nicht.
von  Abendzeitung
FDP-Chef Guido Westerwelle hält weiter an den Steuersenkungsplänen fest.
FDP-Chef Guido Westerwelle hält weiter an den Steuersenkungsplänen fest. © ap

Außer den Liberalen will niemand mehr die versprochenen Steuersenkungen durchsetzen. Paradox: Noch nicht mal die eigenen Wähler sind noch für das 24-Milliarden-Euro schwere Programm. Doch die FDP kümmert das nicht.

BERLIN „Realitätsverlust, der: Unfähigkeit eines Menschen, das eigene Handeln mit der realen Welt in Einklang zu bringen.“ So definiert das Lexikon das Phänomen, unter dem die FDP derzeit offenbar leidet. Die Welt steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, der Staat hat sich über Jahre hinweg gigantisch verschuldet. Aber die Liberalen halten es mit Pippi Langstrumpf, machen sich die Welt „widdewiddewie sie uns gefällt“ und singen weiter fröhlich das Lied von der Steuersenkung. Damit stehen sie inzwischen ziemlich alleine da.

Die CDU hat davon Abstand genommen, sogar die CSU ist inzwischen umgeschwenkt und räumt ein: Die Politik müsse sich an der Realität orientieren. Und auch die Mehrheit der Deutschen ist gegen Steuersenkungen: 58 Prozent sind laut aktuellem „Deutschlandtrend“ gegen die Pläne aus, nur 38 Prozent sind dafür. Besonders paradox: Selbst die Anhänger der FDP sind mehrheitlich gegen das Steuerprogramm. 53 Prozent aus dem liberalen Lager sind dagegen, nur 43 Prozent dafür.

"Die FDP kann Rabbatz machen und sich dann dem Willen der Koalition beugen"

Auch der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegand kritisiert die FDP: „Man gewinnt den Eindruck, als wenn die Liberalen die Wirtschaftkrise und ihre Konsequenzen nicht richtig mitbekommen hätten.“

Ist das wirklich so? Leidet die FDP-Führung an Wahrnehmungsstörungen? Jein, sagt Thomas Kliche, Politischer Psychologe an der Uni Hamburg: „Die FDP-Spitze scheint ja von ihrem Konzept wirklich überzeugt zu sein. Aber die Politikpsychologie weiß auch: Sogar eine kleine Minderheiten kann die Meinung der Mehrheit langfristig beeinflussen, wenn die Minderheit dauerhaft und geschlossen bei ihrer Haltung bleibt. Kurzfristig mögen die Wähler deshalb Steuersenkungen unmöglich finden, langfristig macht das Thema die FDP stärker.“

Mit ihrer Position sei die Partei auf der sicheren Seite: „Sie kann jetzt Rabatz machen und sich dann dem Willen der Koalition beugen. Läuft die Wirtschaft gut, ist die FDP dabei, und falls nicht, kann sie sagen: ,Wir haben Steuersenkungen gewollt, hättet Ihr halt auf uns gehört.’“

Westerwelle will nicht mehr der machtgierige Umfaller sein

Das sture Festhalten an den Steuerplänen ist nach Ansicht Kliches auch ein direktes Resultat aus den Koalitionsverhandlungen: „Vorher hatte Westerwelle gesagt, er werde nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem ein gerechteres Steuersystem festgeschrieben ist. Das steht nicht drin, unterschrieben hat Westerwelle trotzdem. Danach wurde ihm vorgeworfen, ein machtgieriger Umfaller zu sein. Das will die FDP-Spitze jetzt vermeiden.“

Der Forscher stellt eine „Wirklichkeitsspaltung“ fest: Auf der einen Seite gebe es in Deutschland nach der Krise echte, existenzbedrohende Armut. „Und schauen Sie sich auf der anderen Seite die Börsenkurse an, da geht’s zu, als hätte es die Krise nie gegeben. Das FDP-Milieu hat die Krise nicht als existenziellen Umsturz erlebt. Deshalb redet man dort halt weiter von Steuersenkungen.“

Annette Zoch

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