Die olympische Fackel im Proteststurm

Nach London und Paris drohen auch in San Francisco Randale gegen das olympische Feuer. Während sich Pro-Tibet- Aktivisten auf den Show-Down an der US-Westküste vorbereiten, wurde die olympische Fackel gleich nach ihrer Ankunft an einen geheimen Ort gebracht.
von  Abendzeitung
Pro-Tibet Demonstrant beim Protest gegen den Olympischen Fackellauf in Paris.
Pro-Tibet Demonstrant beim Protest gegen den Olympischen Fackellauf in Paris. © dpa

Nach London und Paris drohen auch in San Francisco Randale gegen das olympische Feuer. Während sich Pro-Tibet- Aktivisten auf den Show-Down an der US-Westküste vorbereiten, wurde die olympische Fackel gleich nach ihrer Ankunft an einen geheimen Ort gebracht.

Aus Angst vor massiven Protesten gegen die chinesische Tibet-Politik hat die Polizei von San Francisco das Olympische Feuer versteckt. Nach dem Eintreffen in der Dunkelheit auf dem Flughafen wurde die Fackel durch eine Hintertür ins Freie getragen und dann zunächst an einen geheimen Ort gebracht, berichteten verschiedene Medien. Der Plan ging auf, bei der Ankunft am Flughafen gab es keine Zwischenfälle, zumal 500 Sicherheitskräfte die Aktion bewachten.

"So kann es nicht weitergehen"

Zum Fackellauf durch die Stadt am Mittwoch haben sich tausende Demonstranten angesagt. Ein Großaufgebot von 2000 Polizisten sollte dafür sorgen, dass sich das Chaos von Paris und London nicht wiederholt. Die Sicherheitskräfte werden auf der etwa zehn Kilometer langen Route durch die Stadt die Fackelläufer begleiten.

China verurteilte am Dienstag die heftigen pro-tibetischen Proteste beim Fackellauf in Paris und äußerte die Erwartung, dass solche Aktionen sich nicht wiederholen. Peking hoffe, dass der für Mittwoch in San Francisco geplante Lauf «sicher, erfolgreich und reibungslos» beendet werde, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Jiang Yu. Die Sicherheit des Fackellaufs liege auch im Interesse der beteiligten Länder. Mit der Unterbrechung und «Sabotage» des Fackellaufs in Paris, als die Flamme für etwa 20 Minuten verloschen war, hätten die Demonstranten gegen die olympische Charta und den olympischen Geist verstoßen.

Die pro-tibetischen Proteste überschatteten auch die Sitzung der IOC-Exekutive in Peking. «So kann es nicht weitergehen», schimpfte IOC-Mitglied Sergej Bubka, und IOC-Vizepräsident Thomas Bach gab zu bedenken: «Man muss sehr sorgfältig abwägen. Ein Abbruch der Fackelläufe würde ein Zurückweichen vor Gewalt bedeuten. Wenn man gegen Gewalt ist, muss man auch gegen Gewalt aufstehen. Je bedrohter eine positive Botschaft ist, umso wichtiger ist sie.»

«Ich beteilige mich nicht an Spekulationen», sagte IOC-Präsident Jacques Rogge, «ein wichtiges Symbol ist attackiert worden, und ich bin sehr traurig für die Athleten und die Menschen, die sich darauf gefreut haben.» Für das australische IOC-Mitglied John Coates wäre eine Unterbrechung das falsche Signal: «Das ist, als ob man dem Terrorismus nachgeben würde.»

"Reise der Harmonie"

Intern diskutierten die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bereits seit Tagen über einen möglichen Abbruch. Am Freitag wird die IOC-Exekutive über die nächsten Schritte des 137.000 Kilometer langen und von Chinesen als «Reise der Harmonie» angepriesenen Fackellaufs entscheiden - die Abschaffung der internationalen Route bei zukünftigen Spielen gilt unter Beobachtern schon als beschlossene Sache.

Ein Tag, um den Fackellauf noch zu retten

Noch haben die Behörden von San Francisco einen Tag Zeit, um den Fackellauf durch die Stadt und vielleicht sogar die Zukunft dieser olympischen Tradition zu retten. An der Golden Gate Bridge befestigten Kletterer am Montag zwei Transparente, auf denen sie Freiheit für Tibet fordern. Es war das erste Ausrufezeichen der bevorstehenden massiven Demonstrationen.

San Francisco ist das liberale Zentrum der USA. Seit dem «Summer of Love» in den Sechzigerjahren verkörpert die Stadt den Protest gegen das politische Establishment. Die Fähigkeit, radikale Gegenöffentlichkeit herstellen zu können, ist der Stolz der Einwohner. Sie erhalten am Mittwoch die Möglichkeit, den Fackellauf um die Welt zu beenden. Dementsprechend ist die Stadt in Aufruhr.

Exil-Tibeter aus ganz Amerika werden zu Tausenden in San Francisco erwartet. Gemeinsam mit den Einwohnern der Stadt wollen sie gegen die Menschenrechtsverletzungen in China protestieren. Die tibetische Gemeinde hat nach Angaben des Organisationskomitees rund 2000 Schlafplätze für ihre Landsmänner vorbereitet, viele Hotels sind ausgebucht.

Dass es drei Aktivisten der weltweit agierenden und wohl schlagkräftigsten Organisation «Studenten für ein freies Tibet» am Montag gelungen ist, zwischen den Stahlseilen der Golden Gate Bridge ein Transparent mit der Aufschrift «Freies Tibet 08» anzubringen, hat die Bewegung elektrisiert. In den Seilen hängend telefonierte der Student Laurel Sutherland live mit dem Fernsehsender CBS: «Wir rufen die Leute auf, zu sehen, was in Tibet passiert. China versucht mit diesem Fackellauf sich selber zu feiern und sich als Global Player zu etablieren. Wir wollen diese Propaganda demaskieren.» Wenige Stunden zuvor blamierten Demonstranten die französischen Behörden und China, als es ihnen gelang, die Fackel in Paris mehrmals zum Erlöschen zu bringen. Unter einer Pariser Brücke hingen Studenten an Seilen und brachten Transparente an.

Keine feste Route

Jetzt haben die Behörden in San Francisco reagiert. Die Route für den Fackellauf durch die Stadt, die sie erst letzte Woche nach langem Zögern bekannt gegeben hatten, ist obsolet. Bürgermeister Gavin Newsom verkündete, dass es keine festgelegte Route mehr gebe. «Die Route wird ständig verändert und sie wird noch während des Laufs selbst verändert werden - möglicherweise nehmen wir ganz spontan einen anderen Weg.» Ursprünglich sollte der Fackellauf über zehn Kilometer der Küste entlangführen. 80 Läufer, deren Namen geheim gehalten werden, wurden für den Lauf nominiert. Es wird erwartet, dass mehrere hundert Polizisten die Straßen abschirmen.

Die Stimmung in der Stadt ist aufgeheizt. Dass die Demonstrationen friedlich bleiben, hoffen die Behörden - doch sie glauben nicht daran. Vor drei Wochen wurde auf das chinesische Konsulat in San Francisco ein Brandanschlag verübt, der Tibet-Aktivisten zugeschrieben wurde. Der chinesische Konsul Gao Zhansheng bezeichnete die Brandstiftung als Terroranschlag.

Der Sprecher des Pekinger Organisationskomitees sagte, der Fackellauf werde weitergeführt. Die Demonstranten in San Francisco sehen das ganz anders: «Beijing, you have no idea what's next!!!», heißt es aus Aktivisten-Kreisen. Nach der gelungenen Überraschung an der Golden Gate Bridge darf man gespannt sein, was sich die Demonstranten noch alles einfallen lassen. (dpa/AP/nz)

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