Die Liebe starb im Dschungel
BOGOTA - Sechs lange Jahre hat Juan Carlos Lecompte darauf gewartet, seine Frau wieder in die Arme schließen zu können. Vor gut einer Woche war es so weit: Ingrid Betancourt kam frei. Doch die Liebe scheint verschwunden zu sein – jedenfalls ihre zu ihm.
„Ich habe mich jahrelang auf diesen Moment vorbereitet. Ich habe auf eine große Umarmung gehofft. Ich dachte mir schon, dass es keine Küsse gibt. Aber eben eine Umarmung“, sagt Lecompte der kolumbianischen Zeitung „El Tiempo“. Doch er wird enttäuscht. „Ich bekam auch keine Umarmung. Sie schob mich zur Seite.“
Der Moment der Glücks – für Lecompte wurde er zum Moment des Schmerzes. „Ich habe gehofft, dass sie etwas liebevoller zu mir ist, nicht ganz so kühl“, sagt Lecompte. Dabei hatte Betancourt ihn noch aus dem Helikopter angerufen. „Sie sagte: ,Endlich bin ich frei, endlich ist der Alptraum zu Ende.’ Es machte mich glücklich, dass Ingrid glücklich ist.“ In ihrer ersten gemeinsamen Nacht hätten sie bis in die Morgenstunden geredet. Lecompte: „Ich setzte mich zu ihr, zeigte ihr, was ich in den letzten Jahren unternommen habe.“
Seit 13 Jahren verheiratet
Seit 13 Jahren sind Lecompte und die Politikerin verheiratet – die Hälfte davon verbrachte Betancourt in Geiselhaft. „Die Liebe ist im Dschungel verloren gegangen. Aber was soll ich tun? Ich habe eben nie die Hauptrolle in ihrem Leben gespielt.“
Derzeit ist Betancourt bei ihren Kindern aus erster Ehe in Frankreich. Mit Ex-Mann Fabrice schloss Lecompte sogar während der Entführung Freundschaft. „Er ist großartig. Aber jetzt bin ich ihr Ehemann.“ Er hofft, dass Betancourt im Winter zurück nach Kolumbien kommt. „Wenn sie will, weiß sie, wo sie mich finden kann.“
Starke Belastungsprobe
Die Münchner Eheberaterin Gabriele Leipold bezweifelt, ob das Paar Betancourt-Lecompte je wieder zusammenfinden wird. „Ihre Ehe ist einer starken Belastungsprobe unterworfen. Das braucht Zeit und Verständnis“, sagt Leipold der AZ. „An Betancourts tiefen Ängsten kann ihr Mann nicht teilnehmen.“ Näher sei ihr derzeit der Mitgefangene William Perez, der für Betancourt eine Art Beschützer war. „Die extreme Situation schweißt die beiden zusammen.“
Ihr Ehemann hingegen – ein Fremder. „Die beiden hatten völlig unterschiedliche Erwartungen. Er wollte Nähe, sie braucht Abstand“, sagt Leipold. Trotzdem sei es merkwürdig, dass Lecompte sofort an die Öffentlichkeit geht. „Er zeigt nicht viel Verständnis und gibt ihr keine Zeit.“
Zeit ist es auch, die Betancourt kaum hat. Sie hetzt durch ihre Freiheit. „Betancourt hat viel nachzuholen. Für sie gibt es im Moment wichtigere Aufgaben als ihre Ehe“, meint Leipold. Ingrid Betancourt selbst sagt, sie sei „im Prozess des Verzeihens“ mit ihren Entführern.
Ein merkwürdiges Gefühl
Seit ihrer Freilassung habe sie viel geweint, es seien die kleinen Dinge der Freiheit, die schwer zu verkraften sind: warmes Wasser, der Geruch von Parfüm, „ein merkwürdiges Gefühl“. Ihre erste Dusche sei wie „ein spirituelles Bad“ gewesen, „um alle Erinnerungen loszuwerden“.
Anne Kathrin Koophamel
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