Die letzte Audienz des Papstes

Der Papst verabschiedet sich von den Gläubigen. Die Abendzeitung ist mit Pilgern im Bus nach Rom gereist
von  Georg Thanscheidt
Bayerische Pilger auf dem Petersplatz.
Bayerische Pilger auf dem Petersplatz. © M. Maus

von Matthias Maus, Rom

Irgendwann hält es auch Waltraud Böck nicht mehr auf dem Sitz. „Benedetto! Benedetto“, ruft sie zusammen mit einer chilenischen Studentin und rund 50 Schülern aus der Nähe von Padua und Hunderttausenden Gläubigen aus aller Welt. Gerade ist Benedikt zum letzten Mal im Papamobil durch die Korridore am Petersplatz gekurvt, hat gewunken, gelächelt und Babys geküsst. Die jungen Leute machen hier die Stimmung.

Und es ist eine seltsame Stimmung. „Ein schöner Tag“, sagt Ingeborg Mulzer-Staffler aus Landshut mit Blick auf den blauen Himmel, „und auch ein trauriger“. Schließlich, und das wissen alle hier: es ist in der Kühle des Vorfrühlings der letzte öffentliche Auftritt des Papstes aus Bayern. Allein 300 Gläubige hat das bayerische Pilgerbüro eingeflogen oder mit dem Bus auf die Langstrecke nach Rom genommen. Es ist aber auch die Traunsteiner Blaskapelle da, und natürlich die Gebirgsschützen, bei denen Benedikt Ehrenmitglied ist und mit denen Kardinal Reinhard Marx schon am Morgen ein Schnaps auf dem Petersplatz trinkt.

Die weiß-blauen Fahnen sind also zahlreich auf dem größten Platz der Christenheit. Aber dies ist der Versammlungsort der Welt-Kirche. Und da bleibt die transalpine Abordnung doch deutlich in der Minderheit. Und weil die Stimmungskanonen eher im Süden beheimatet sind, skandiert Frau Böck aus Neufahrn den Namen ihres Papstes auf italienisch.

Es immer wieder erstaunlich, zu welcher Demonstration von farbenfroher Einheit die Kirchenbasis in der Lage ist. Das war schon bei der Beerdigung von Johannes Paul vor acht Jahren so, und es hat sich vielleicht sogar noch gesteigert. Die Welt will Events und dies ist einer. Flaggen aus dem USA und dem Irak wehen, aus Portugal und Sri Lanka, aus Argentinien und Indien: Sie mischen sich mit dem Orange der Pullover französischer Gymnasiastinnen und den bunten Halstüchern von Studenten aus der Elfenbeinküste. Es ist ein Festival, das hier gefeiert wird. Man könnte den Abschiedscharakter fast vergessen und auch die dahinter liegenden Gründe.

Die bunte Harmonie auf dem Platz findet offensichtlich hinter den Ziegelmauern des Vatikan keine Fortsetzung. Als Benedikt in seinem weißen Sonder-Mercedes aus dem Seitentor des Petersdoms rollt, da wirkt er klein und schwer verletzlich. Warum gibt der Papst auf? Aus gesundheitlichen Gründen, wie er selbst sagt? Beschreibt ihn doch ein aufgeräumter Horst Seehofer als „topfit“, als „glasklar im Bild“. Der Ministerpräsident war einer der wenigen, die beim Promi-Abschied nach dem eigentlichen Abschied auf dem Petersplatz dabei waren.

Wir haben Respekt vor dieser Entscheidung, auch wenn sie für uns Bayern bitter ist“, sagt Seehofer zum Rücktritt. Er gibt im Campo Santo Teutonico gleich neben dem Petersdom eine Pressekonferenz, einem Friedhof, auf dem viele Deutsche begraben sind. „Respekt“, das sagen fast alle Pilger, haben sie für Benedikt. Hochachtung für diesen Rücktritt, den ersten aus freien Stücken seit 719 Jahren, oder, wie einer sagt: „Es muss ja ned jeder wegsterben.“

Sie wollen das Positive sehen, auch die Löwen-Fans Jutta Schnell, Peter Vogl und oder Wally Braun. „Der Papst ist schließlich seit sechs Jahren Ehrenmitglied bei 1860“, erklären sie. 30 Personen umfasst die Delegation heuer, und „normalerweise“ hätten sie sogar Karten für die ersten beiden Reihen gehabt. „Aber heuer ist alles anders“, sagt Fanbegleiterin Jutta Schnell. Als Löwen-Fans sind sie Ursachenforschung gewohnt für Sachen, die schief gelaufen sind: „Der nächste Papst muss die Fehler eingestehen, die gemacht worden sind und nicht abstreiten“, sagt Wally Braun. Der Zölibat, die Missbrauchsfälle: „Der nächste Papst muss weltoffener werden."

Das wünscht sich auch Bernardita Pena Hurtado aus Chile, und das wünscht sich auch Bernita Vogl aus Bad Kötzting: „Man muss nicht immer dem Zeitgeist hinterher rennen“, sagt sie und zitiert damit den Papst fast wörtlich: „Aber man muss mit der Zeit gehen.“ Schließlich: „Früher waren die Päpste auch verheiratet.“

Waltraud Böck will „die Wiederverheirateten wieder zur heiligen Kommunion zulassen.“ Das klingt alles nach einer Versammlung kirchenkritischer Initiativen, wo man doch den harten Kern, die treuesten der Treuen vermutet hätte. Aber die Aussagen bezeugen die Fliehkräfte, die in der Kirche wirken und die Benedikt nicht bändigen konnte. Schließlich gibt es auf der anderen Seite genügend, die sich auch nach 50 Jahren nicht an die Messe in der Landessprache gewöhnen wollen, die den Dialog mit anderen Religionen für Sünde halten und die Holocaust-Leugner hervorbringen wie die Pius-Brüder. Wahrscheinlich kennt nur der Papst die genauen Kräfteverhältnisse, und als das Ausmaß von Intrigen und Verwerfungen hinter den Kirchenmauer publik wurde, da hat er das Handtuch geworfen. An dieser Version gibt es wenige Zweifel, auch nicht unter Kirchenleuten.

Der Papst wirkt schwach, seine Stimme schwankt bei seinem letzten Auftritt: „Ich habe die Entscheidung zum Wohl der Kirche getroffen“, sagt Benedikt unter dem wetterfesten Baldachin vor dem Haupteingang des Petersdoms. Das gibt weiter Rätsel auf, und hinterlässt Sorgen bei denen unten mit den Fahnen: „Benedetto, ci mancherai“, steht da, „Benedikt, Du wirst und fehlen.“ Oder: „Wir fühlen uns nicht verlassen, wir fühlen uns bestärkt." Das klingt ein wenig besorgt, und ein wenig trotzig.. Brigitte Steinhaus weiß auch nicht, wie's weitergeht. Aber sie hat einen historischen Tag erlebt, und ein wenig feuchte Augen am Schluss: „Vielleicht war er einfach nur zu alt.“

Auf ihrem Fähnchen steht „Alles Gute, Papst Benedikt“. Sie steckt es in ihre Tasche.

 

 

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