Die käuflichen Spione
Nicht nur die NSA sammelt private Daten über uns – Google, Facebook und Co. erst recht. Das Phänomen und seine Folgen
MÜNCHEN In einer Dokumenation des „Wall Street Jounal“ über die Überwachungsindustrie steht der Satz: „Facebook speichert pro Tag 20 Mal mehr Daten als die NSA.“ Der Autor meinte ihn als Beruhigung. Tatsächlich kann man ihn auch erschreckend finden: Neben den Geheimdiensten gibt es noch ganz andere Datenkraken, allen voran Facebook und Google. Sie sind nicht mit Negativ-Etiketten wie „überwachen und ausspähen“ belegt, sondern es heißt „Daten sammeln, auswerten und vermarkten“, aber der Prozess ist ähnlich wie bei Geheimdiensten: Jemand sammelt möglichst viele private Informationen über uns – die einen verwenden sie politisch, die anderen zum Geld verdienen.
Jeder Internet-Nutzer kennt das: iTunes gibt einem – tatsächlich oft gute – Musikempfehlungen, Amazon weiß, welche Bücher uns gefallen könnten, und der Kollege, der vor Jahren eine Medizin-Serie für die AZ recherchiert hat, bekommt heute noch Zahnimplantat-Anzeigen bei jeder Google-Suche. Das wirkt erstmal harmlos und oft in der Tat nützlich. Aber das ist eben längst nicht alles. Es gibt immer größere Datenmengen, immer billigere Speicher und immer bessere Auswertungswerkzeuge: „Big Data“ ist das ganze große Geschäft der Zukunft, Branchenvertreter sprechen begeistert vom Öl oder Gold des 21. Jahrhunderts. Das Geschäftsmodell von Google und Facebook, möglichst viele Informationen über die Erdenbürger zu sammeln und zu vermarkten, ist den Anlegern viele Milliarden wert.
In ihrem sehr guten Buch „Big Data – Revolution, die unser Leben verändern wird“ beschreiben die beiden Briten Viktor Mayer-Schönberger und Kenneth Cukier das Phänomen und seine – teil beängstigenden – Konsequenzen. Gesammelt werden nicht nur Profile über vergangene Aktionen eines Individuums, sondern es wird auch versucht, mit Algorithmen sein zukünftiges Verhalten vorherzusagen. In den USA ist das bereits ein ganz großer Markt. In vielen Bundesstaaten verwenden Bewährungsausschüsse solche Analysen als Basis für die Entscheidung, ob eine Haftstrafe ausgesetzt wird. In einigen Orten nutzt die Polizei „Predictive Policing“: Sie überwacht gezielt Straßen, Gruppen und einzelne Menschen allein aufgrund der Prognose, dass etwas passieren wird. Übrigens mit einigem Erfolg: Die Kriminalitätsraten sanken.
"Schon eine Taschenlampen-App kann Risiken bergen"
In der Tat hat „Big Data“ positives Potenzial: Verkehrsmanagement auf Basis der Prognosen kann Staus reduzieren, Apotheken können ihre Grippemittel aufstocken, wenn viele Nutzer in der Region Erkältungs-Suchen starten, generell erwartet sich die Medizin ganz neue Diagnose-Möglichkeiten. Für etwas hinfällige, alleinlebende Senioren werden spezielle, mit Sensoren ausgestattete Überwachungsteppiche angeboten, die der Pflegestelle melden, wenn jemand nicht zur üblichen Zeit aufgestanden ist oder unsicher geht. Das kann das Heim ersparen – aber auch nerven, wenn man vielleicht einfach mal länger schlafen wollte.
Heute gibt es Möglichkeiten, von denen die Stasi der DDR nur träumen konnte, schreiben Mayer-Schönberger und Cukier. Wir hinterlassen unsere Spuren überall: Google weiß, was wir wissen wollen; Amazon und andere wissen, für welche Produkte wir uns interessieren; Apple und Co wissen mindestens, mit wem wir wann reden, wo wir uns aufhalten und – aus unseren üblichen Bewegungsmustern – wo wir wahrscheinlich gerade hinwollen. Und das sind nur die ganz Großen. „Schon eine Taschenlampen-App kann Risiken bergen. Sie erscheint erst einmal praktisch. Doch sie spendet nicht nur Licht, sondern kann auch Ortsdaten speichern und Adressbücher abgreifen“, warnt Steffan Heuer, Autor eines Buchs über Privatspähre im Internet.
Heuer weiter: „Ob Google oder Facebook: Die speichern die Daten ja nicht nur für sich selbst, sondern verkaufen sie weiter. Es sitzen immer Unbekannte im Hintergrund, die einem über die Schulter schauen.“ Das wird spätestens dann unangenehm, wenn man von Versicherungen oder potenziellen Arbeitgebern abgelehnt wird, weil man häufiger nach einer bestimmten Krankheit gegoogelt hat. „In Deutschland ist das bisher selten und verboten, in den USA kommt es vor“, so Heuer.
Auf das Datenschutzrecht braucht man kaum zählen: Das EU-Gesetz dazu stammt von 1995; Google, Facebook und Co. haben ihre Europa-Niederlassungen alle in Irland mit extraniedrigen nationalen Standards. Das hat allerdings die meisten Nutzer bisher nicht gestört – sie spenden ihre Daten freigiebig.