Die Jukebox und andere Rotarsch-Rituale

BERLIN - Mittenwald war erst der Anfang: In den letzten Tagen hat der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe immer wieder Berichte über Exzesse in der Bundeswehr erhalten. Guttenberg reagiert zurückhaltend.
Die Spitze des Eisbergs? Nach den Vorwürfen um Mittenwald hat der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe stapelweise Post über ähnliche Vorfälle in anderen Kasernen bekommen – aus zahlreichen Truppenteilen von den Gebirgsjägern bis zur Marine. Heute will er sie dem Verteidigungsausschuss vorstellen.
Vor kurzem waren eklige und erniedrigende Rituale in der Edelweiß-Kaserne bekanntgeworden. Es ging um Alkoholexzesse, um den Zwang, bis zum Erbrechen rohe Leber und frische Hefe zu essen, um der internen Hierarchie aufsteigen zu können. Seither gingen bei Robbe 23 Beschwerden aus anderen Kasernen ein, plus 54 Zuschriften zu Mittenwald selbst. Er sprach von einem „Alkoholproblem“ in Teilen der Bundeswehr.
In zwei Mails seien ihm ähnliche Rituale aus der Kaserne Bischofswiesen-Strub berichtet worden, nur wenige Kilometer von Mittenwald entfernt: „Es werden ein paar Bier um die Wette getrunken, man muss um die Wette unter Stühlen durchrobben, zwischendurch erneut ein paar Bier trinken. Und muss aus einer ekligen Suppe (Stichwort Rohe Leber) was trinken“, heißt es in einer Mail. Die Absender haben ihren Wehrdienst 1993/1994 und 2003/2004 absolviert.
Ein ehemaliger Obergefreiter berichtet aus Ellwangen (Jagst) von „Spielen“: Bei „Jukebox“ werde ein Soldat in seinen Spind eingeschlossen und darin umgestoßen, während er bestimmte Lieder singen muss. Oder das „Rotarsch-Ritual“ auf einem Marine-Zerstörer: „Eine Bohnermaschine (mit einer großen elektrischen Borstenscheibe) wurde dem Rekruten so lange an den nackten Hintern gehalten, bis dieser rot war.“
Ein Schreiber berichtet über Rituale im Fernmeldebataillon in Bruchsal: „Es gab ausgehöhlte, mit allem Denkbaren aus der Küche angefüllte Zwiebeln, die man ,essen’ musste. Spätestens jetzt haben sich alle übergeben.“
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) reagierte zurückhaltend: Er schloss einzelne Disziplinar-Verfahren nicht aus, warnte aber vor „Pauschal-Urteilen“. Man müsse alle Fälle prüfen, sich aber auch ansehen, wie aktuell sie seien. Er selbst hat in Mittenwald gedient, habe aber nichts von Misshandlungen mitbekommen. Dagegen heißt es in einer Mail: „Zu meiner Zeit hatte nahezu jeder Soldat, der in einem der Gebirgsjägerbataillone Dienst tat, zumindest ansatzweise von den Dingen gehört, nicht nur die Gebirgszügler.“
Der Bundeswehrverband wies derweil zurück, dass es ein spezielles Alkoholproblem gebe. In Deutschland gebe es 9,5 Millionen Menschen, die in gesundheitlich riskanter Form Alkohol trinken würden. „Das, was in der Gesellschaft stattfindet, findet auch bei uns statt.“ tan