Die Integrationsdebatte: Das Mega-Thema
Leutheusser-Schnarrenberger will einen Sprachtest. Für Merkel ist die Integration eine „Schlüsselaufgabe“. Wulff stellt sich vor die Migranten – verlangt aber „klare Forderungen“.
BERLIN/MÜNCHEN Was auch immer man von Thilo Sarrazins Äußerungen halten mag: Er hat mit seinen Thesen eine Debatte über Integration angestoßen, die die Politik aufgescheucht hat. Und das Eingeständnis, dass die Eingliederung von Zuwanderern in die Gesellschaft verbessert werden muss, kommt aus allen Lagern. Genauso wie Vorschläge, was sich jetzt ändern soll.
Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte der türkischen Zeitung „Hürriyet“: „Man muss Probleme klar benennen, aber man darf Fortschritte auch nicht verschweigen.“ Es sei aber „Unsinn“, wenn der Bundesbankvorstand den Eindruck erwecke, dass Deutschland durch Türken und Muslime dümmer werde.
Für Deutschland sei es eine Schlüsselaufgabe, Zuwanderer in die Gesellschaft hineinzuholen. „Integration ist ein Geben und Nehmen. Auf der einen Seite müssen wir offen sein für die, die zu uns kommen. Es müssen aber auch die deutschen Gesetze eingehalten werden. Und die deutsche Sprache gelernt werden.“
Die FDP kann in ihrer Umfragenkrise endlich wieder mit Inhalten punkten – und legt einen ganzen Katalog an Maßnahmen vor.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger fordert einen Sprachtest für Kinder im Alter von vier Jahren – unabhängig von ihrer Herkunft. „Das ist keine Stigmatisierung, sondern die Förderung der Sprache. Es gibt auch genügend Kinder aus deutschen Familien, die Sprachdefizite haben.“
Außerdem will sie über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutieren. „Das derzeit geltende Recht ist integrationshemmend“, sagt sie. Seit 2000 erhält jedes in Deutschland geborene Kind automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit. Spätestens mit dem 23. Lebensjahr aber müssen sich Nachkommen von Migranten entscheiden zwischen der deutschen oder der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Bis dahin dürfen sie mit zwei Pässen leben. Nur Europäer erhalten bislang die doppelte Staatsbürgerschaft.
Leutheusser-Schnarrenberger: „Integrationspolitisch kann das kontraproduktiv wirken, weil sie junge Menschen, die von Geburt an Teil der deutschen Gesellschaft sind, dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen, die ihre Zugehörigkeit zu unserem Land in Frage stellt.“ Staatsbürgerschaft sei nicht das Ende, sondern der Anfang der Integration. Bereits vor elf Jahren gab es in Deutschland eine hitzige Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft. Eine Kampagne dagegen brachte damals Roland Koch (CDU) überraschend die Macht in Hessen.
Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich auch Bundespräsident Christian Wulff vor die Migranten: „Die Mehrzahl neu angekommener Bürger nimmt erfolgreich an Integrationskursen teil“, sagte er der „Mainzer Allgemeinen Zeitung“. Er räumte Defizite in der Ausländerpolitik ein: „Versäumte Anstrengungen bei der Integration müssen nachgeholt werden“, forderte Wulff. Andererseits müssten aber auch „klare Forderungen an Zuwanderer formuliert werden“.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mahnte, das Thema Integration gelassen zu diskutieren. Er finde, „dass man auf Provokationen gelassen und klug, und nicht hektisch und hysterisch reagieren sollte“. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, nannte die Integration „das Mega-Thema der nächsten Jahre“.
Auch der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), sprach von millionenfach gelungener Integration. Es gebe aber „zu viele Fälle von Integrationsverweigerung“. Als Beispiel nannte Bosbach die Sprachkurse für ausländische Bezieher von Sozialleistungen. „Fast ein Drittel derjenigen, die zu Sprachkursen verpflichtet wurden, damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigen, kommen nicht oder brechen den Kurs vorzeitig ab.“ bö, cl