"Die Hoffnung stirbt zuletzt!" – Angehörige von Hamas-Geiseln in München

München - Die Angehörigen von Geiseln der Hamas sind in München. Sie fordern die deutsche Politik auf, sich für ihre Familien einzusetzen.
Angehörige von Hamas- Geiseln: In München machen sie auf ihr Schicksal aufmerksam
Während wir sprechen, sitzen sie wahrscheinlich in dunklen Tunneln, ohne eine Ahnung, wann dieser Alptraum endet." Naama Weinberg ist von Israel nach München gekommen. Gemeinsam mit ihrer Schwester. Ihr Cousin Itay Svirsky (38) wurde von den Hamas als Geisel genommen. In Deutschland wollen sie auf das Schicksal ihres Cousins aufmerksam machen.
Außer den beiden sind noch acht weitere Israelis nach München gekommen, die alle Angehörige haben, die von der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober verschleppt worden sind. Vermutlich nach Gaza, wo Israel wenige Tage später eine Bodenoffensive gestartet hat.
Da ist die 27-jährige Shira Havron. Vier ihrer Familienmitglieder sind von den Terroristen im Kibbuz Be'eri umgebracht worden. Sieben weitere Verwandte, darunter ihre Tante, ihre Cousine und deren drei- und achtjährige Kinder, sind entführt worden.
In Israel sterben so viele Juden wie seit dem Holocaust nicht mehr
Chanan Cohen vermisst seine Schwester Margalit Berta Moses (77) , die an Krebs erkrankt ist. Er hat den Kibbuz Nir Oz mitaufgebaut, in dem einer von vier Bewohnern entweder umgebracht oder entführt wurde. Zehn Jahre hat er in Deutschland gelebt, spricht fließend Deutsch. Er erzählt, dass schon seine Familie zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Polen vertrieben worden sei, sein Vater ging 1933 aus Nazi-Deutschland nach Israel. Nun wurden dort so viele Juden an jenem 7. Oktober umgebracht, wie seit dem Holocaust nicht mehr.
"Man fühlt sich vollkommen machtlos": Naama und Ofir können der Familie nicht helfen
"Der Kibbuz Be'eri hat sich für uns wie der sicherste Ort der Welt angefühlt", sagt Naama Weinberg. Sie und ihre Schwester Ofir studieren und leben in Tel Aviv. Um 6.30 Uhr sind sie am 7. Oktober von Sirenen geweckt geworden. Nach und nach bekamen sie Handy-Nachrichten ihrer Familienangehörigen: "Sie sind jetzt im Haus", war die letzte Nachricht des Onkels. Ein rotes Herz die letzte Nachricht der Tante.
"Ich kann gar nicht beschreiben, wie das ist, wenn man so eine Nachricht bekommt. Da wird die Familie genau in dem Moment umgebracht. Man fühlt sich vollkommen machtlos", sagt Ofir Weinberg.
Nur die 97-jährige Oma hat überlebt, ihre philippinische Pflegerin ermordete die Hamas ebenfalls. Seit 3 Tagen ist nun ihr Cousin in den Händen jener Terroristen.
Lieber tot als in Gefangenschaft: Am schlimmsten ist die Ungewissheit
Es gibt Geiselangehörige, die sich öffentlich wünschen, dass ihre Angehörigen lieber schon tot wären als in der Gefangenschaft der Hamas. Ofir und Naama haben darüber gesprochen, ob es besser wäre, wenn Itay tot wäre. "Ich weiß es nicht", sagt Naama der AZ. Am schlimmsten sei die Ungewissheit. "Ich kann das nicht beantworten. Wenn er nach Hause kommt, sind wir bestimmt froh, dass er lebt. Aber es kann auch anders ausgehen." Alle Familienmitglieder der beiden Schwestern sind evakuiert worden, niemand wohnt mehr im eigenen Heim. Die anderen Großeltern leben in der Nähe des Libanon, mussten ebenfalls ihr Haus verlassen, erzählen sie im Gespräch mit der AZ.
Angehörige wollen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik
Melody Sucharewicz begleitet die Delegation aus Israel. Denn die Verschleppten der Gäste aus Israel sind deutsche Staatsbürger. Sie sind bereits zum zweiten Mal in Deutschland. Inzwischen haben Sie unter anderem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) getroffen. "Wir wollen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik", sagt Sucharewicz. Niemand solle nachts schlafen gehen in Deutschland, "ohne daran zu denken, dass kleine Kinder, Frauen, Holocaust-Überlebende in den Händen dieser blutrünstigen Terroristen sind".
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Landtagspräsidentin Ilse Aigner treffen sie ebenfalls am Montag. Ilse Aigner verspricht den Familien: "Wir erinnern die Menschen an dieses Unrecht, an Ihr Leid, Ihren Schmerz – aber auch an Ihren Mut und vor allem an Ihre Hoffnung, die auch unsere ist."
Handlung statt Lippenbekenntnisse: "Es geht auch um die Werte des Westens"
Die Angehörigen wollen nicht nur Lippenbekenntnisse von der deutschen Politik. Denn Deutschland habe Einfluss, heißt es unisono. Sowohl die Türkei als auch Katar gelten als Unterstützer der Hamas. "Wir erwarten, dass gehandelt wird", sagt Shira Havron. Es gehe schließlich auch um die Werte des Westens. Zumal nicht nur israelische Staatsbürger entführt worden seien. Der Türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird am Freitag in Berlin erwartet. Havron wünscht sich, dass der Kanzler mit ihm über die Geiseln spricht.
Markus Weidmann ist ebenfalls nach München gekommen. Er ist der Onkel von Shani Louk. Ein Video, das die junge Frau in Gaza zeigt, ging viral. Heute weiß man, dass Louk schon nicht mehr gelebt hatte, als das Video kursierte. Dennoch waren die Bilder für die Familie schrecklich. Trotz seiner eigenen Erfahrungen und des "tierischen Handelns" der Hamas spricht Weidmann den Angehörigen Mut zu: "Die Hoffnung stirbt zuletzt!"