Die Hölle im Keller von Amstetten

Mord, Sklaverei, Inzest: An diesem Montag beginnt in St. Pölten der Prozess um das Jahrundertverbrechen des Josef F. Dessen Anwalt sagt: „Er ist kein Sex-Monster, er hat seine Tochter geliebt.“ Das Martyrium von Elisabeth F. dauerte 8642 Tage
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Josef F. führte ein perverses Doppelleben.
dpa Josef F. führte ein perverses Doppelleben.

AMSTETTEN - Mord, Sklaverei, Inzest: An diesem Montag beginnt in St. Pölten der Prozess um das Jahrundertverbrechen des Josef F. Dessen Anwalt sagt: „Er ist kein Sex-Monster, er hat seine Tochter geliebt.“ Das Martyrium von Elisabeth F. dauerte 8642 Tage

Rattenjagd mit bloßen Händen, Geburtstagsfeiern in schimmligen Wänden und Vergewaltigungen vor den Ohren der Kinder – die Details des Falles sprengen die Vorstellungskraft. Ab heute, knapp elf Monate nach Bekanntwerden des Falles, der die Welt bewegte, steht der 73-jährige Josef F. vor Gericht: Der Mann, der seine Tochter 24 Jahre eingesperrt hat, und der mit ihr im Keller sieben Kinder zeugte. Die AZ schildert die Saga des Unfassbaren.

Die Tat

Der Alptraum der Elisabeth F. begann schon in den Siebzigern. Jahrzehnte später, bei der Vernehmung durch die Polizei, erzählt sie, dass ihr Vater sie schon mit elf das erste Mal missbraucht hat. Sie wehrte sich, sie flieht immer wieder, bis zu jenem 29. August 1984. Da verschwand die damals 18-Jährige, ihr Vater meldete sie als vermisst. Sie sei bei einer Sekte, sagt der Vater, die Mutter, man glaubt ihm. In Wahrheit hat F. seine drittgeborene Tochter in den Keller gelockt und eingesperrt. Sie soll betäubt, mit Handschellen gefesselt in das Verlies eingesperrt worden sein. Er missbrauchte sie immer wieder, angeblich traute sie sich nicht, sich zu wehren. „Es war ein Maus-Schlange-Verhältnis“, hat F. später der Polizei gesagt. Und: Nach drei Jahren begann „ein eheähnliches Verhältnis“. Er vergewaltigte sie immer wieder. Insgesamt bekam die Tochter sieben Kinder, eines starb. Weil F. ihm medizinische Hilfe verweigert haben soll, lautet die Anklage auf Mord. Die Leiche verbrannte er in seinem eigenen Heizungsofen, die Asche verstreute er im Garten.

Im Mai 1993 lag ein Kind auf der Schwelle des Hauses, dazu ein Begleitbrief, in dem die Tochter schreibt, sie könne sich nicht um das Kind kümmern. F. hatte den Brief gefälscht. Scheinbar rührend nahm das Ehepaar F. insgesamt drei seiner Kinder in seine oberirdische Normalfamilie auf. Drei blieben mit der Mutter unten im Verlies. 24 Jahre, 8642 Tage, dauerte das Martyrium der Tochter, ohne Frischluft, ohne Wetter, ohne Hoffnung. Als das älteste Kind im April 2008 mit 19 ernsthaft erkrankte, bestand seine Mutter darauf, dass es ins Krankenhaus gebracht wurde. F. gab nach. Doch das Personal im Krankenhaus wurde stutzig, suchte nach der Mutter. Sie sah den Aufruf im TV, sie bedrängte den Vater, er ließ sie ins Krankenhaus, das Jahrhundertverbrechen platzte.

Der Täter

Josef F. ist Elektroingenieur, technisch versiert und kaufmännisch geschickt. Und er führt seit vielen Jahren ein Doppelleben. „Schwere psychische Störungen“ attestiert ihm das Gutachten. Er stellt sich bei den Vernehmungen allen Ernstes als liebenden Familienvater dar: „Ich habe für meine Familie gesorgt.“ Stofftiere und Blumen habe er seinen Kindern ins Verlies gebracht: „Wir haben gemeinsam Geburtstag gefeiert, und von meiner Tochter zubereitete Speisen genossen.“ Immer wieder schärfte er seinen Gefangenen ein, Ausbruchsversuche seien sinnlos, und immer wieder gab er der gefangenen Mutter seiner Kinder die Schuld an ihrem Schicksal. Ihrer Bitte, eine weitere Frau zu ihr ins Verlies zu holen, gegen die Langeweile, lehnte er ab: „Ich habe genug mit einer Frau.“

Die Opfer

Nie haben die Kinder eine Wiese gesehen, Schnee erlebt, Sonne und Regen gespürt. Feucht war es nur, wenn Kondenswasser die Wände des Kellers hinablief – im Sommer heizte sich das Gefängnis unerträglich auf. Dennoch, so sagen Psychologen, hatten die Kinder eine Chance, sich zu entwickeln. Als sie ans Tageslicht kamen, vor elf Monaten, hatten sie bleiche, fast papierne Haut, und doch kannten sie vieles. Im Keller gab es Fernsehen. Ein Kind wollte unbedingt Robbie Williams live sehen. Warum hat niemand geschrien, niemand versucht zu fliehen? Hätte jemand mit einem Besenstiel gegen die Decke ihres Gefängnisses gestoßen, der Lärm wäre oben, wo F.’s Frau und die „Findelkinder“ lebten, nicht zu überhören gewesen: „Sie hat sich mit der Gefangenschaft abgefunden“, sagte F. in seinen Vernehmungen.

Der Tatort

Hinter einer massiven Stahlbetontür mit Elektromotor befand sich ein 40 Quadratmeter großes, fensterloses Verlies, für 24 Jahre die Welt für die Tochter. Drei Kinder haben bis vergangenen April nichts anderes gesehen als die ausgebauten Kellerräume ihres Gefängnisses. Den ersten hatte F. als Atombunker behördlich angemeldet, Alleine und mit primitivsten Werkzeugen hat er die Räume ausgebaut. Für Frischluft sorgte der findige Entführer anfangs mit einem Staubsauger. Dennoch bildete sich Schimmel. Im Tagebuch, das die Tochter führte, spricht sie von Ratten, die sie mit bloßen Händen jagte. Als zwei der sieben Kinder vier und fünf Jahre waren, baute F. das Gefängnis aus. Er sorgte für eine Dusche, es gab eine Waschmaschine. Niemand aus seiner offiziellen Familie traute sich in den Keller. Manchmal blieb der Peiniger auch über Nacht: Dann sagte er seiner Frau, er sei auf Geschäftsreise.

Die Anklage

Nach F.’s Festnahme wurde er psychiatrisch untersucht und für zurechnungsfähig erklärt, Die Anklage lautet auf Mord wegen des Säuglings. Sklaverei, Vergewaltigung, Blutschande und Freiheitsberaubung sind weitere Anklagepunkte. Nur wenn die acht Geschworenen der Mordanklage zustimmen, bekommt F. lebenslänglich. Die Staatsanwältin Christiane Burkheiser (33) hat Sicherungsverwahrung für F. beantragt.

Die Verteidigung

Der Wiener Starverteidiger Rudolf Mayer verteidigt F. „Er ist kein Sex-Monster, er hat seine Tochter geliebt“, sagt er über F. und deutet so die Verteidigungslinie an. Er habe eine Familie haben wollen, „die er ganz für sich hat“. Allerdings, und das bestreitet auch der Anwalt nicht, sei der schreckliche Ingenieur eine „schwer gestörte Persönlichkeit mit mindestens zwei Persönlichkeiten in sich“. Den Mordvorwurf allerdings versucht der Anwalt zu bekämpfen.

Das Verfahren

„Es ist ein ganz normales Verfahren, sagt Richterin Andrea Humer (48). Das Landesgericht St.Pölten will am Freitag, vielleicht schon am Donnerstag, ein Urteil fällen. Angehörige und Opfer wurden schon zuvor einvernommen. Die Rolle der Ehefrau und die Untätigkeit der Behörden bei den „Findelkindern“ wird deshalb vielleicht nie geklärt.

Matthias Maus

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