Die Grünen: „Wir sind auf dem Weg zur Volkspartei“
BERLIN/MÜNCHEN - Die Grünen stürmen bei den Umfragen von einem Rekord zum nächsten: Jetzt wollen schon 17 Prozent der Deutschen grün wählen. Wie lange hält der Boom – oder geht er erst richtig los?
10,7 Prozent hatten die Grünen bei der Bundestagswahl und jubelten über das historisch gute Ergebnis. Doch das war noch gar nichts. 12, 13, 15, 16 – seit dem Wahlgang geht es Stufe um Stufe hinauf. In dieser Woche schließlich landete das einstige Ökobaby im nun 30. Lebensjahr bei noch nie dagewesenen 17 Prozent – viele in der Partei reiben sich verwundert die Augen. Und sind fest entschlossen, sich den Zuwachs nicht wieder nehmen zu lassen. „Das ist der Übergang zu einer kleinen Volkspartei“, prophezeit der Münchner Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag im AZ-Gespräch. Auch Bayerns Landeschefin Theresa Schopper ist hin und weg: „Es ist immer schön, wenn man gewinnt.“
Nur einen Punkt sind die Grünen noch entfernt vom legendären „Projekt 18“, mit dem die FDP 2002 ganz nach vorne wollte – und radikal abstürzte. Daran müssen auch Montag und Schopper momentan häufig denken: Beide warnen vor Übermut. Auch wenn Ko-Landeschef Dieter Janecek scherzhaft twittert: „Sollten die Grünen in einer Umfrage der nächsten Wochen 18% bekommen, kleb ich die mir auf die Schuhsohlen“ – so wie es der damalige Spaßpolitiker Guido Westerwelle mit der 18 getan hatte.
In Bayern haben die Grünen das nächste Ziel schon vor Augen. Nur zwei Punkte trennen sie noch von der SPD. Das weckt Begehrlichkeiten: „Wir wollen zweite Kraft in Bayern werden“, sagt Montag. Woher aber kommt der Run auf die Grünen und wie lange wird er andauern? Die AZ sprach mit dem Mainzer Politikforscher Jürgen Falter.
AZ: Verschiebt sich gerade unser Parteiensystem, wenn der Grünen-Aufstieg weitergeht?
JÜRGEN FALTER: Ja, dann haben die Grünen das alte „Projekt 18“ der FDP erreicht. Und die FDP steuert im Augenblick sichtlich auf ein „Projekt 5“ zu.
Was macht die Grünen so stark?
Die Grünen sind die einzige Oppositions-Partei, die sich derzeit ohne internen Streit präsentiert. Die SPD ist noch immer angeschlagen, die Linke hat den Schock des Lafontaine-Rückzugs zu verkraften und ist nach wie vor in Ost und West gespalten. Die Grünen stehen da relativ strahlend da.
Woher kommen die neuen Grünen-Anhänger?
Aus meiner Sicht profitieren die Grünen klar vom Niedergang der FDP. Die ist wieder auf ihre Stammwählerschaft von acht Prozent zurückgefallen. Die Wähler, die sie zuletzt darüber hinaus an sich binden konnte, dürften sich von ihrer sozialen Stellung und ihrer liberalen Einstellung her auch bei den Grünen relativ gut aufgehoben fühlen.
Können FDP-Wähler einfach so auf Grün einschwenken?
In ihrer Oppositionszeit hat es die FDP gut verstanden, sich als unverbrauchte Kraft zu präsentieren. Das ist verpufft, ihre Wähler sind enttäuscht. Manche suchen sich eine neue unverbrauchte Kraft, das sind jetzt die Grünen. Insofern ist das kein Aufstieg aus eigener Kraft und vermutlich auch nicht sehr nachhaltig. Denn an der Politik der Grünen kann es ja nicht liegen, dass die Partei plötzlich so viel Zuspruch bekommt. Die hat sich in letzter Zeit nicht geändert. Und das Führungspersonal schon gleich gar nicht.
Wie geht es weiter mit den Grünen?
Auf den furiosen Aufstieg kann auch ein relativ flotter Abstieg kommen, so wie es bei der FDP der Fall war. Wenn es bei der SPD wieder aufwärts geht und die FDP sich wieder fängt, dann werden auch die Grünen wieder auf den unteren zweistelligen Prozentbereich zurückfallen.
Im Mai wählt Nordrhein-Westfalen – schwarz-grün?
Wenn es nicht für Schwarz-Gelb langt, dann ist meine Prognose: Schwarz-Grün. Mit Rüttgers geht so etwas. Und ich denke mal, dass das im Konrad-Adenauer-Haus einigen Leuten rund um CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel gar nicht so ungelegen käme...
Interview: Frank Müller
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