Die Grünen: Anton Hofreiter im Interview über das grüne Wahlprogramm
München - Der Münchner (46) führt seit Oktober 2013 gemeinsam mit Katrin Göring-Eckardt die Bundestagsfraktion. Anton Hofreiter im AZ-Interview.
AZ: Herr Hofreiter, drei Männer wollen die Grünen in die Bundestagswahl führen. Was haben Sie Cem Özdemir und Robert Habeck voraus?
Anton Hofreiter: Ich stehe für die ökologischen Kernthemen der Grünen und kann diese mit anderen wichtigen Fragen verbinden: Warum müssen wir raus aus der industriellen Massentierhaltung? Was hat die Art, wie wir Landwirtschaft betreiben, mit den Fluchtursachen zu tun? Hier gibt es einen engen Zusammenhang, so lange wir unsere subventionierten Agrarprodukte in ärmere Länder exportieren und dort die Wirtschaft zerstören. Klar, ich bin vielleicht etwas kantiger als die anderen, aber ich glaube, klare Alternativen brauchen wir gerade in diesen Zeiten.
Ist das nicht ein ungleiches Rennen? Katrin Göring-Eckardt, die vierte Bewerberin, ist gesetzt. Sie ist die einzige Frau.
Mit Katrin haben wir eine starke Spitzenkandidatin. Vor der letzten Wahl hatten wir drei Frauen und einen Mann, den alle für gesetzt hielten, diesmal ist es umgekehrt. Ich habe damit kein Problem.
Die Diskussionen über die Steuerpolitik erinnern an den letzten Wahlkampf. Ist das auch diesmal die Botschaft der Grünen: Ehegattensplitting abschaffen, Steuern rauf?
Uns geht es um Gerechtigkeit: bezahlbarer Wohnraum, ein ausreichendes Angebot an Kita-Plätzen, funktionierende Sozialsysteme, kein Missbrauch mehr von Werkverträgen und Leiharbeit. Unsere Steuerpläne zielen nicht auf Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, sondern auf Superreiche, auf Milliardäre und Multimillionäre, die künftig eine Vermögenssteuer bezahlen sollen.
Wie wichtig ist das für den Zusammenhalt der Gesellschaft?
Es kann nicht sein, dass Sie jeden Monat Ihre Steuern bezahlen und dann von der Schule Ihrer Kinder einen Brief bekommen, Sie sollen doch bitte helfen, das Klassenzimmer zu weißeln – und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich weltweit eine Luxuswohnung nach der anderen zusammenkaufen, ohne irgendwo angemessen Steuern zu bezahlen.
Trotzdem haben viele Menschen den Eindruck, als wollten die Grünen wieder mal an der Steuerschraube drehen.
Damit das klar ist: Wir wollen die Leute entlasten etwa durch mehr Geld für die Kinderbetreuung, bezahlbaren Wohnraum oder sichere Renten. Wir wollen Wohlstand für alle. Und nicht nur für die Superreichen. Die sollen sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen können. Vor kurzem habe ich mich mit einem Buchhändler unterhalten. Er hat sich bitter darüber beklagt, dass er zwar jeden Monat brav seine Steuern abführt, sein Konkurrent Amazon aber weder anständige Löhne noch Steuern in Deutschland bezahlt. Das kann eigentlich nicht sein.Wenn wir jetzt darauf pochen, dass transnationale Konzerne wie Amazon, Google oder Starbucks sich nicht mehr vor dem Fiskus drücken können, ist das etwas, was viele Menschen genau so sehen.
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Das Verfassungsgericht hat sowohl die Vermögenssteuer gestoppt als auch mehrere Reformen der Erbschaftssteuer. Verkämpfen Sie sich da nicht an der falschen Stelle?
Die Vermögenssteuer ist von Konrad Adenauer eingeführt und auch unter Helmut Kohl noch 13 Jahre lang erhoben worden. Es ist möglich, sie verfassungsfest zu erheben. Das sieht man auch an der Erbschaftssteuer. Es stößt sich im Gegenteil daran, dass bestimmte Leute sie nicht bezahlen müssen, etwa Unternehmenserben. Jetzt schauen wir erst mal, ob die von Bundestag und Bundesrat gefundene Lösung verfassungsfest ist.
Bei den Grünen gibt es heftigen Streit, ob Daimler-Chef Dieter Zetsche beim Parteitag auftreten darf. Ist er für Sie Gegner oder Partner, zum Beispiel beim Thema Elektroauto?
Im Moment ist die Autoindustrie sich selbst der größte Gegner. Schauen Sie sich die Panik bei VW an, die Angst vor einer verpflichtenden Quote für den Verkauf von Elektroautos in China, schauen Sie sich die Diskussionen über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in London oder Neu-Delhi an: Überall haben Sie in der Autoindustrie massive Fraktionskämpfe zwischen den Befürworten einer modernen, umweltschonenden Technologie und den Anhängern der alten Technologie. Wir stehen an der Seite der Innovativen. Hier muss die Branche noch viel Geld investieren, auch auf die Gefahr hin, dass die Dividenden vorübergehend etwas dünner werden.
Finden Sie es denn gut, dass der Parteivorstand Zetsche eingeladen hat?
Wir Grüne reden ohnehin täglich mit den Unternehmen. Und seien Sie sicher: Wir lassen uns keine Geschichten von denen erzählen. Ich bin gespannt, wie er sich schlägt.
Sie gelten als Befürworter einer rot-rot-grünen Koalition nach der Bundestagswahl. Wäre dort Verkehrsminister nichts für Sie?
Erst ziehen wir selbstbewusst in den Wahlkampf, dann entscheidet der Wähler, dann verhandeln wir vielleicht über eine Koalition und erst danach verteilen wir die Posten. Ja, wir wollen regieren. Aber nicht um jeden Preis. Entscheidend ist, ob ein echter Politikwechsel möglich ist. Für einen Klimaschutz, der das Klima schützt, für ein Bekenntnis zur EU, für mehr soziale Gerechtigkeit und einen Kampf gegen jede Form von Diskriminierung. Und dann haben beide Varianten, über die gesprochen wird, ihre Tücken – Rot-Rot-Grün wie Schwarz-Schwarz-Grün.
Ist die Entscheidung über die grünen Spitzenkandidaten nicht auch eine Richtungsentscheidung?
Es macht einen Unterschied. Deshalb will ich diesen Wettbewerb auch gewinnen. Ich glaube, dass ich für einen schwierigen Wahlkampf mit einer harten inhaltlichen Auseinandersetzung der geeignete Kandidat bin. Wenn schon keine Partei sich 2017 auf eine Koalitionsaussage festlegen können wird, muss man die inhaltlichen Unterschiede umso genauer zeigen. Und dafür stehe ich. Es gibt mehr als nur eine Alternative zur herrschenden Politik im Bund.
Union und SPD wollen noch einmal gemeinsam nach einem Kandidaten für die Nachfolge von Joachim Gauck suchen. Rechnen Sie noch mit einer Einigung?
Das ist aus meiner Sicht offen. Die SPD hat mit Frank-Walter Steinmeier einen respektablen Kandidaten vorgeschlagen, aber wir wissen noch nicht, wie die Union sich dazu verhalten wird. Sie ist offenbar noch immer in der Findungsphase.
Die Grünen könnten doch Winfried Kretschmann ins Rennen schicken.
Sollte es keinen gemeinsam getragenen Vorschlag geben, kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir einen eigenen machen. Ich schätze Winfried sehr. Aber über Namen spekuliere ich nicht öffentlich.