Die grüne Übermutter lässt noch mal bitten
Nach der „herben Klatsche“ bei der Urwahl kann ein Sturm von Liebesmails Claudia Roth umstimmen. Die bunteste Führungsfigur tritt doch wieder als Parteichefin an
Es ist selten und nur vorübergehend, dass Claudia Roth schmallippig wird. Am Sonntag war das so, als sie sich ein: „Das ist Demokratie“ abpresste, nach ihrer Pleite bei der Grünen-Urwahl. Oder im Sommer, als sie zu Katrin Göring-Eckardts möglichem Eintritt ins Rennen gefragt wurde. Da schnippte Roth: „Wenn sie es sich zutraut.“
Man soll nicht glauben, die bunte Claudia mit den großen Augen und der lauten Stimme sei nur eine Betroffenheitstante, die ihr Herz auf der Zunge trägt. Ihr Repertoire erschöpft sich nicht in der Rolle der emotionalen Übermutter, die ihre Empörung immer zuverlässig rausposaunt. Claudia Roth, geboren am 15. Mai 1955 in Ulm, ist durchaus eine nachdenkliche Frau und eine strategische Politikerin. Nur dass sie sich grandios verritten hat mit ihrer Idee einer Urwahl.
Dass sie die Stimmung an der eigenen Basis so falsch eingeschätzt hat, daran dürfte sie noch lange knabbern. Aber, das haben die Grünen auf allen Ebenen an diesem Wochenende gerade noch rechtzeitig erkannt: Für die Grünen ist Claudia Roth mindestens so wichtig wie die Grünen für Claudia Roth. „Die Grünen sind meine Familie“, hat sie mal gesagt. Sie will jetzt doch weiter machen, sich am Wochenende noch mal dem Parteitag stellen und wieder Parteichefin werden.
Sie war Theater-Dramaturgin und Managerin der Rock-Band „Ton, Steine, Scherben“. 1985 begann sie bei den bayerischen Grünen als Pressesprecherin. 1998 ins Europa-Parlament gewählt, machte sie sich einen Namen als Menschenrechts-Expertin. Sie reiste in Flüchtlingslager, sprach mit Oppositionellen im Irak, in Tunesien oder in Kurdistan. Mochten andere kungeln mit Despoten, Claudia Roth prangerte Verletzungen der Menschenrechte klar an.
Seit 2001 ist sie, mit einem Jahr Unterbrechung, Chefin der Grünen. Im Fußballstadion oder im Bierzelt, sie ist fast überall dabei und meist nicht zu übersehen. Aber die Betriebsnudel hat auch eine andere Seite: Ja, sagt sie, Politik macht einsam: „Man ist eine vollkommen öffentliche Person, dann geht man ins Hotelzimmer und da ist alles leer.“
Die Tochter linksliberaler FDP-Anhänger, Vater Zahnarzt, Mutter Lehrerin, kann kämpfen. Die Niederlage vom Samstag aber war fast zu viel für sie. Nach dem Liebesentzug tat die grüne „Familie“ alles, um die Tochter wieder zurückzuholen – letztlich erfolgreich. „Es war eine herbe Klatsche“, sagte Roth gestern um acht Uhr morgens, ganz in Schwarz. Zu ungewohnter Zeit in ungewohnter Farbe sprach sie Unbequemes aus: „Das waren schwere Stunden für mich.“ Sie habe „Zweifel gehabt“, das Ergebnis habe „innere Zerrissenheit“ bei ihr bewirkt:
Letztlich aber gehe es „um etwas Wichtigeres. Es geht um die Ablösung von Schwarz-Gelb, es geht um ein starkes grünes Ergebnis“. Und dafür braucht es auch Claudia Roth. Das haben ihr in der Nacht vor der Entscheidung offenbar hunderte von Mitgliedern versichert. Bundesgeschäftsführer Volker Beck, der schon mal sagt: „Claudia nervt, aber sie ist wichtig“, ließ sich was Besonderes einfallen: Entfacht das Internet sonst mit Häme und Kritik so genannte „shitstorms“, so organisierte Beck jetzt einen „Candystorm“. Ganz viel Zucker per E-Mail, eine Art der „Sturm der Liebe“ per Internet. „Noch nie habe ich so viel Zuspruch bekommen“, sagt Roth.
Bei der Urwahl war das anders. Nur 26 Prozent der Grünen-Mitglieder wollten sie im Spitzenduo haben. Das war der vierte Platz von vieren. Und das für die größte Advokatin der Urwahl. Nach der Anmeldung von Jürgen Trittin war es Roth, die über den internen Wettstreit die Parteimitglieder entscheiden lassen wollte. Ausgerechnet die jetzige Siegerin Katrin Göring-Eckardt war abgebügelt worden für ihre Idee, die Partei solle es doch mit einem Team statt mit einem Duo bei der Bundestagswahl versuchen.
Das Team ist jetzt doch wichtiger als das Duo, findet auch Roth: „Es geht um mehr als um mich und meine Enttäuschung.“ Sie war sich wohl zu sicher ob ihrer gefühlten Popularität. „Mir nützt das in der schwärzesten Oberpfalz“, erzählte Roth im Sommer in der AZ: „Wenn die Leute sagen: Ah, da kommt die Grüne, was will die denn?“ Wenn sie zu spät kam auf den AZ-Wiesn-Stammtisch, wie vor einigen Jahren, dann hatte sie eine selbstbewusste Erklärung: „Ständig werde ich angequatscht, jeder spricht mir Mut zu.“ Nur sind Wiesn-Besucher keine Grünen-Wähler, und Grünen-Wähler sind nicht unbedingt Grünen-Mitglieder. Dass es über deren Stimmungslage keine Erhebung gab, das nannte auch Jürgen Trittin als große Unbekannte im Rennen. Roth hat es zu spüren bekommen. Matthias Maus