Die große Koalition in der Dämmerung

Das Ende ist in Sicht: Union und SPD stellen das gemeinsame Regieren langsam ein. Lust darauf haben sie schon lange nicht mehr. Jetzt gibt's noch ein halbes Jahr Wahlkampf.
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Endzeitstimmung in Berlin: Das Kanzleramt während des mutmaßlichen letzten Koalitionsausschusses.
AP Endzeitstimmung in Berlin: Das Kanzleramt während des mutmaßlichen letzten Koalitionsausschusses.

BERLIN - Das Ende ist in Sicht: Union und SPD stellen das gemeinsame Regieren langsam ein. Lust darauf haben sie schon lange nicht mehr. Jetzt gibt's noch ein halbes Jahr Wahlkampf.

Die Kost war deftig, das Klima eisig, das Ergebnis mager: Sechs Stunden lang keiften sich die Koalitionäre von Union und SPD am Mittwoch bei Schnitzel, Bratkartoffeln und Salat im Kanzleramt an, ehe die Matadore um halb zwei in der Nacht auseinandergingen. Heraus kam außer viel heißer Luft nur ein Minimalkompromiss bei den Managergehältern (siehe unten). Und die Erkenntnis, dass der Staat in Sachen Opel irgendwie aktiv werden müsse.

Vor der Regierungszentrale kommt es danach zu einer Szene, die bezeichnend ist für das angespannte Binnenklima in der schwarz-roten Ehe, für die wahlkampfbedingt inszenierte Dämmerung der Koalition: Unions-Fraktionschef Volker Kauder und CSU-Statthalter Peter Ramsauer beklagen mit Leichenbittermienen die „zähesten Verhandlungsrunden“ seit Beginn der Ära Merkel: „Das Ende der großen Koalition wirft seine Schatten voraus“, sagt Ramsauer mit Grabesstimme. „Wir haben uns wirklich nur auf das Allernötigste geeinigt.“

Neue Projekte wird es nicht mehr geben

Als sie gerade davonbrausen wollen, kommt SPD-Fraktionschef Peter Struck und raunzt das schwarze Duo an: „Na, was habt ihr erzählt?“ Woraufhin Kauder im badischen Singsang heiser krächzt: „Das Ende der großen Koalition!“ Da spielt Struck den sorgenzerfurchten Kümmerer: „Wir müssen uns um die Sorgen der Menschen kümmern.“ Immerhin habe man einen Wählerauftrag bis zum 27.September.

Doch in Berlin weiß man auch: Inhaltlich war’s das im wesentlichen. Es sind nur noch acht Sitzungswochen bis zur Wahl. Neue Projekte lassen sich da kaum mehr realisieren, weil die Zeit für das Gesetzgebungsverfahren knapp wird – sofern im Superwahljahr 2009 überhaupt der Wille dazu wäre. Die Sitzung des Koalitionsausschusses war vermutlich die letzte. Eine gewisse Abschiedsstimmung ist mit Händen greifbar.

Ein Paar, das doch nicht voneinander lassen kann

Dabei hatten sich Union und SPD im Kanzleramt nicht einmal auf dünne Punkte einigen können: weder auf ein neues NPD-Verbotsverfahren noch auf das Umweltgesetzbuch oder einen Mindestlohn für Zeitarbeiter. Ganz zu schweigen von der Reform der Arbeitsvermittlung in den Jobcentern, die von Karlsruhe gefordert wird.

Die FAZ-Redakteure Eckart Lohse und Markus Wehner haben Union und SPD in ihrem neuen Buch „Rosenkrieg“ treffend als ein Polit-Paar beschrieben, das sich hasst und doch nicht voneinander lassen kann. Das sich wegen unüberbrückbarer Differenzen allzu häufig aufs Nichtstun einigt. Das gemeinsam marschiert und dabei kräftig aufeinander einschlägt.

Und genau so könnte es entgegen aller voreiligen Nachrufe auch nach der Wahl weitergehen: Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise, sagen in Berlin viele Protagonisten hinter vorgehaltener Hand, komme es doch auf stabile Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat an. Selbst CSU-Mann Ramsauer sprach nach ein paar Mützen Schlaf schon wieder wohlmeinender über die große Koalition: „Alle, die da sitzen, kennen sich seit Jahren und haben hohen Respekt voreinander. In so einem Raum ist von Wahlkampf nichts zu spüren.“

Und so das einzige Ergebnis aus

Union und SPD haben sich auf schärfere gesetzliche Auflagen für Manager verständigt. Nach dem Konzept, das eine Arbeitsgruppe bereits zuvor ausgehandelt hatte, dürfen Spitzenverdiener in der Wirtschaft ihre Aktienoptionen künftig frühestens nach vier statt bisher nach zwei Jahren einlösen. Zudem soll der gesamte Aufsichtsrat und nicht mehr nur ein kleiner Ausschuss über die Gehaltshöhe entscheiden. Die Aufsichtsräte sollen verpflichtet werden, je nach wirtschaftlicher Lage des Unternehmens Vorstandsvergütungen zu kürzen. Eine Obergrenze für Managergehälter wird es nicht geben. Die Union lehnte auch die SPD-Forderung ab, dass Managerhälter und Abfindungen nur bis zu einer Million Euro im Jahr von der Steuer absetzbar sein sollten.

Darüber hinaus einigten sich die Koalitionäre darauf, nach dem Scheitern des Umweltgesetzbuchs Einzelgesetze zum Naturschutz-, Wasserhaushalts- und Strahlenschutzrecht auf den Weg zu bringen. Auf Druck der CSU wird zudem die Belastung von Bauern durch die Agrardieselsteuer gesenkt.

Markus Jox

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